Das Schwert - Thriller
außerhalb der Szene, befiehlt ihr, stillzustehen.
Obwohl es so schmutzig war, erkannte Jack das Kleid. Es war Teil der Schuluniform der junior school , die Naomi besuchte. Jack studierte das Gesicht des Kindes. Es war seine Tochter – und doch nicht seine Tochter. Es war Naomi –und es war jemand Fremdes, ein Kind, das er nie zuvor gesehen hatte.
Eine grobe Hand hat ihr das lange blonde Haar abgeschnitten. Es ist strähnig, ungewaschen, stumpf. Ihr ausdrucksvolles Gesicht ist schmal geworden; sie hat an Gewicht verloren, mindestens fünf Kilo. Ihre Augen, ihre schillernden Feenaugen, sind erstorben. Glanzlos. Die Augen eines Gespensts, ohne Regung, Liebe, Hass.
Jack wartete darauf, dass sie weinte, aber sie schaute nur mit versteinerter Miene in die Kamera.
Aus derselben Richtung wie eben Naomi, tritt ein Mann ins Blickfeld der Kamera. Ein Mann, mittelgroß, bärtig, gutaussehend bis auf Pockennarben an der Stirn. Bekleidet ist er mit einer weißen Dischdascha und Scheitelkappe. Er wendet sich der Kamera zu und schaut starr in die Linse, kalt und hochmütig.
Jack fühlte sein Herz gegen die Rippen schlagen wie einen gefangenen Vogel, der gegen die Stangen seines Käfigs flatterte. Sein Blut war zu Eis geworden. Er konnte sehen, wie Naomi in ihrem dünnen Kleidchen zitterte, und er wusste, dass sie fror. Das Summen stammte also nicht von einer Klimaanlage, folgerte er, sondern von einem Ventilator. Er vermutete, dass es sich um ein unterirdisches Gelass handelte, womöglich gar nicht weit entfernt vom Ramses-Platz.
Der Mann nimmt das Mikrofon, das der Kameramann ihm reicht.
»Wenn Sie dies sehen, Professor Goodrich, wissen Sie bereits, was gleich hier geschehen wird. Erlauben Sie, dass ich mich vorstelle. Mein Name ist Raschid. Ich bin der Bruder des Mannes, den Sie als Mohammed kennen. In Schottland sind Sie mir entkommen und hier in Kairo sind Sie meinen Leuten durch die Finger geschlüpft. Ich habe Sie unterschätzt. Sie sind zäher, als ich angenommen hatte. Ihre Tochter wird dafür büßen müssen.
Sie sind im Besitz eines Schwertes, das zu besitzen Ihnen nicht zusteht. Allein mein Bruder Mohammed hat ein Recht darauf und sonst niemand. Er ist ein direkter Abkomme des letzten wahren Kalifen, des letzten Nachfolgers des Propheten, Friede sei mit ihm. Geben Sie dem wahren Kalifen das Schwert zurück, und Sie werden Ihre Tochter lebend wiedersehen.
Falls Sie sich nicht davon trennen mögen, enthält das nächste Päckchen, das wir Ihnen schicken, ihren Kopf. Damit Sie sehen, dass ich es ernst meine und dass der Finger in der Schachtel wirklich der Ihrer Tochter ist, werden Sie nun Zeuge sein, wie ich ihn mir beschafft habe.«
Der Mann hört auf zu sprechen, und jemand schiebt einen Holztisch vor die Kamera. Ein zweiter Mann kommt herein und postiert sich hinter Naomi. Ohne Vorwarnung packt er ihre Oberarme und stößt sie nach vorn, drückt dann ihre linke Hand auf die Tischplatte und hält sie dort fest.
Raschid legt das Mikrofon auf den Boden und richtet sich auf. Er greift in seine Dischdascha und zieht ein Messer mit kurzer, kräftiger Klinge heraus, ein Jagdmesser oder etwas in der Art. Er tritt links neben Naomi und umklammert ihr Handgelenk, während der andere Mann sie mit beiden Armen von hinten festhält.
Das ist der Moment, in dem ihre Starre zerbricht. Als sie das Messer sieht. Sie schreit, und der Schrei erschütterte die machtlosen Zuschauer bis ins Mark. Vater Josephs Lippen bewegten sich in einem unhörbaren Gebet.
»Papa!«, schreit sie. »Papa! Hilf mir! Bitte! Komm und hol mich weg hier!«
Raschid zeigt sich völlig unbeeindruckt von ihrem Weinen und Flehen. Er spreizt ihre Finger, sondert den kleinen von den übrigen ab und setzt die scharfe Klinge an wie ein Koch beim Spargelschneiden. Im nächsten Moment istsein weißes Gewand mit Blut gesprenkelt, und Naomis Finger rollt über den Tisch.
Jack wurde ohnmächtig. Er kippte vom Stuhl und schlug mit dem Kopf auf den Boden. Vater Joseph schaltete den Videorecorder aus und half Dschamila, Jack hochzuhieven und auf den Stuhl zu setzen.
Er kam schnell wieder zu sich. Sobald er sich kräftig genug fühlte, führten sie ihn, links und rechts untergehakt, langsam zurück ins Haus. Schadia nahm ihn in Empfang, brachte ihn ins Schlafzimmer der Söhne und zwang ihn mit sanfter Gewalt, sich hinzulegen. Er zitterte am ganzen Leib; immer wieder packte ihn ein krampfhafter Schüttelfrost. Schadia wollte einen Arzt rufen, aber Dschamila hielt
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