Das Schwert - Thriller
Tastenfeld einen Code ein. Die Tür glitt behäbig auf Schienen zur Seite und in die Wand hinein.
Sie gingen hindurch und standen in dem Wohnzimmer eines scheinbar ganz normalen Appartements. Auch hier bewaffnete Posten. Hinter ihnen schloss die Tür sich wieder, leise und fugenlos, nicht von der Wand zu unterscheiden.
Fatima erklärte den Posten ihren Auftrag, und man öffnete ihnen die Tür zum Korridor im Erdgeschoss eines Mietshauses. Das gesamte Gebäude wurde von Angehörigen der Ahl al-Dschanna bewohnt, wie auch ein großer Teil des Viertels, in dem es stand.
Die Straße sprang Samiha an wie ein Ungeheuer aus einem Alptraum. Monatelang hatte sie ein von den Bildern und Geräuschen des Alltagslebens abgeschottetes Dasein geführt, die meiste Zeit beschränkt auf ihr winziges Zimmer, das einer Mönchszelle ähnlicher war als allem anderen. Ausgenommen die Mahlzeiten – Männer und Frauen aßen in getrennten Schichten – und Besuchen von Badezimmer und Toilette der Frauen, hatte sie die 24 Stundendes Tages, im Wechsel arbeitend und schlafend, in ihrem Zimmer verbracht.
Jetzt lärmte Verkehr durch eine schmale Straße, und auf dem Bürgersteig drängten sich die Fußgänger. Drei Millionen Menschen lebten in Schubra, so viele wie im ganzen Libanon, zusammengeballt in diesem aus den Nähten platzenden Viertel Kairos. In Wirklichkeit herrschte kein übermäßig starker Verkehr, und auch die Zahl der Passanten hielt sich in Grenzen, für Samiha jedoch war es das reine Chaos, das auf sie einstürmte.
Naomi zwischen sich führend, machten sie sich auf die Suche nach einem Taxi. Naomi erschrak vor den Autos und den vorübereilenden Menschen und stolperte immer wieder über die eigenen Füße. Samiha betete stumm, dass sich bald eine Stelle finden möge, die für ihr Vorhaben geeignet war, sonst hatten sie ihre letzte Chance auf Rettung verspielt. Dann ging es nicht mehr darum, eine verletzte Hand zu verarzten oder gegen Fieber ein Antibiotikum zu verabreichen, sondern bei ihrer Rückkehr in den Bunker würde Raschid dafür sorgen, dass sowohl sie als auch Naomi für dieses Täuschungsmanöver mit dem Leben bezahlten.
Fatima bestand darauf, bis zur Shubra-Street zu gehen, die geradewegs zum Ramses-Bahnhof führte. Dort konnte man immer ein Taxi finden, und die Klinik lag ganz in der Nähe.
Sie näherten sich der Mündung einer schmalen Lücke zwischen zwei mehrstöckigen Wohnhäusern. Darauf hatte Samiha gewartet. Sie drückte Naomis Arm und hoffte, dass das Kind den Wink verstand. Sie waren an der Lücke vorbei, und für einen Moment fürchtete Samiha, Naomi wäre schon zu geschwächt, um ihre Rolle zu spielen, dann aber schrie das Mädchen auf, ein ungekünstelter Wehlaut, und sagte, mir ist schlecht, ich muss brechen.
»Schnell, hier hinein.« Samiha zog Naomi in den Durchgang. Es war der Schritt über die Grenze zwischen zwei Welten. Nur das Rauschen des Verkehrs folgte ihnen in das Zwielicht und die Stille, alles andere blieb zurück wie abgeschnitten. Fatima, die Naomis anderen Arm umfasst hielt, blieb nichts anderes übrig, als mitzukommen, dabei machte sie dem Kind Vorwürfe wegen des Aufenthalts.
Naomi übergab sich aufs Stichwort. Nicht verwunderlich, sie hatte sich schon vorher in ihrem Zimmer mehrmals erbrechen müssen.
»Halt sie fest«, sagte Samiha. »Ich habe hier etwas, um ihr das Gesicht abzuwischen.«
Sie kramte in der Tragetasche, und als Fatima sich zu dem Kind niederbeugte, zog sie die Keramikschüssel heraus und ließ sie auf ihren Kopf niedersausen, einmal und noch einmal. Die Frau sank erst auf die Knie, dann zur Seite und lag still.
Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass sie unbeobachtet waren, fühlte Samiha Fatimas Puls. Sie lebte, war aber bewusstlos. Mit raschen Bewegungen machte sie sich daran, die schlaffe Gestalt zu entkleiden, nahm ihr das Kopftuch ab, zog ihr das Obergewand aus, dann die Unterwäsche. Die Kleidungsstücke stopfte sie in die Tüte. Splitterfasernackt den Blicken der Öffentlichkeit preisgegeben zu sein war für eine gläubige Muslima schlimmer als der Tod. Samiha nahm an, dass Fatima, in einem dunklen Winkel versteckt, die Nacht abwarten würde, bevor sie sich hinauswagte und auf den Rückweg zum Bunker machte. Falls sie sich überhaupt je wieder hinauswagte.
Fatima hatte etwas Geld bei sich, um Taxi und Krankenhaus zu bezahlen. Samiha fand es und steckte es ein. Hoffentlich reichte es für die Taxifahrt.
Bis zur Einmündung in die Shubra-Street war es
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