Das Schwert - Thriller
nicht mehr weit. Samiha drückte Naomi die Tragetasche in dieHand und nahm dann Kind samt Tüte auf den Arm. Die Kleine war leicht wie eine Feder.
Das erste Taxi hielt am Bordstein.
»Zum Britischen Konsulat.« Samiha bettete Naomi auf die Rückbank und setzte sich neben sie.
Der Fahrer musterte sie über die Schulter hinweg.
»Das Mädchen sieht krank aus«, meinte er. »Wollen Sie nicht lieber zu einem Arzt?«
Samiha schüttelte den Kopf. In diesem Viertel konnte sie keinem Arzt trauen. Jemand im Konsulat würde Rat wissen. Jemand im Konsulat würde ihr helfen, Naomi mit ihrem Vater zu vereinen.
35
Georgina
15.45 Uhr
Als das Taxi vor der Botschaft hielt, wollte Samiha der Mut verlassen. Der Fahrer erklärte ihr, das Konsulat befände sich in demselben Gebäude, aber: Dieses Gebäude ist ein Palast, dachte Samiha. Hochmütig schaute es auf sie hinab, und sie hatte keine Ahnung, wohin sie gehen und an wen sie sich wenden sollte. Bestimmt war ihr Englisch zu schlecht, um sich verständlich zu machen, oder man warf sie und Naomi hinaus, ohne sie überhaupt anzuhören. Naomi wurde von Fieberschauern geschüttelt, und Samiha hatte Angst, sie könnte jeden Moment sterben.
Sie bezahlte den Fahrer und half Naomi auszusteigen, argwöhnisch beobachtet von den beiden uniformierten, bewaffneten Posten vor dem Sicherheitstor.
Sie ging zu dem Soldaten rechts und sprach ihn an, auf Englisch, das sie, außer in der geschriebenen Form, seit der Universität kaum mehr benutzt hatte.
»Bitte«, sagte sie, »ich brauche Hilfe. Für das kleine Mädchen. Sie muss ins Krankenhaus gebracht werden. An einen sicheren Ort. Sie ist in großer Gefahr. Können Sie helfen? Kann drinnen jemand helfen?«
Der Soldat musterte sie kalt. Wieder so eine Bettlerschlampe, dachte er. Kein Funke Barmherzigkeit regte sich in ihm. Er war in Afghanistan und im Irak gewesen, und alles Mitleid, das er einmal empfunden haben mochte, war dort in ihm erstorben.
»Jalla, bint« , sagte er, »bi-surra« , ohne sich zu wundern,wieso diese spezielle Bettlerin so gutes Englisch sprach. »Los, los, keine Müdigkeit vorschützen. Mach dich dünne, oder mein Kumpel hier verpasst dir eine Lektion, die du ein Leben lang nicht vergisst. Weg hier! Verpiss dich!«
Er nahm das Gewehr in beide Hände, um sie einzuschüchtern.
Samiha zog Naomi den Schal vom Kopf.
»Sie ist ein englisches Kind. Ihre Mutter ist tot, und sie weiß nicht, wo ihr Vater ist. Sehen Sie sie an. Sie stirbt. Sie braucht einen Arzt.«
Der Soldat stutzte. Sogar er konnte erkennen, dass Naomi keine Ägypterin war. Ihr blondes Haar und die weiße Haut – die Sonnenbräune war in der Gefangenschaft verblasst – ließen die Worte der Frau glaubwürdig erscheinen. Außer, die Kanakentante hatte das Kind gestohlen und versuchte, der Botschaft eine Belohnung abzuluchsen. Er beugte sich zu Naomi hinab und merkte, dass sie beim Anblick seines Maschinengewehrs zusammenzuckte.
»Wie heißt du denn, meine Kleine?«
Naomi war nahe daran, wieder in einen fiebrigen Dämmerzustand zu versinken, aber die neue Umgebung und der Mann in der vertrauten Uniform belebten sie so weit, dass sie antworten konnte.
»Naomi. Naomi Goodrich. Mein Vater ist Professor Goodrich. Ich wohne in Garden City.«
»Was fehlt ihr denn?«, fragte der Soldat und richtete sich auf.
Samiha zeigte ihm die verbundene Hand.
»Sie hat eine Blutvergiftung. Das Fieber verbrennt sie innerlich. Sie wird sterben, wenn man die Wunde nicht versorgt.«
Nach einem Blick auf den blutgetränkten Verband wurde dem Soldaten der Ernst der Lage bewusst. Er hastetezu seinem Schilderhaus und rief über das Telefon dort im Konsulat an.
Wenige Augenblicke später sah man eine Frau aus dem Portal stürmen und im Laufschritt zum Tor hinuntereilen. Sie war eine junge Konsulatsangestellte, noch feucht hinter den Ohren, und brannte darauf, zu helfen. Ihre Name war Georgina Moffett-Petrie, sie war 23 Jahre alt, liebte Tiere und befand sich seit sechs Monaten in Kairo.
Samiha erklärte ihr die Situation, und sie begriff sofort. Sie überlegte kurz und wandte sich an den Soldaten: »Haben Sie den Schlüssel zu Ihrem Landrover bei sich, Sergeant?«
Ihr Vater war Colonel, und sie wusste, welchen Ton man den unteren Chargen gegenüber anschlagen musste.
»Ja, Madam, aber es ist nicht erlaubt ...«
»Ich pfeife darauf, was erlaubt ist. Ich erlaube Ihnen. Dies ist ein Notfall. Ich bringe dieses Kind ins Britisch-Amerikanische-Krankenhaus, jetzt sofort, und
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