Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition)
daran, dass er tatsächlich wusste, was das Beste war.
Ich erhob mich. Lukas nickte mir kaum merklich zu, so als wären wir Verschwörer.
Der Junge, der am nächsten Morgen meinem Feuer zugeteilt wurde, hieß Hermann. Er war nur ein wenig älter als Konrad und wirkte verschüchtert und nervös. Lukas hatte uns gebeten, die Wächter der Bescheidenheit, wie er sie nannte, als »Brüder« anzusprechen. Damit wir sie erkennen konnten, trug jeder ein Stück Leinen um den Oberarm, das aus der Kleidung auf den Karren gerissen worden war. Es waren über hundert.
Ich fragte mich, ob Hugo sie wirklich so schnell gefunden oder ob er schon länger gewusst hatte, dass ihm diese Aufgabe zuteilwerden würde.
Konrad und Erik gehörten nicht zu den Auserwählten, Cornelius schon. Ich konnte erkennen, dass das an den beiden nagte. Cornelius stolzierte immer wieder mit seiner Armbinde an ihnen vorbei. Lange würde das nicht gutgehen.
Wir packten das Lager zusammen und brachen auf. Es war ein schöner Sommertag, warm und trocken. Wir warfen unsere Umhänge auf Karren, rollten die Ärmel unserer Hemden hoch und hielten das Gesicht in die Sonne. Der Schnee auf den Alpen leuchtete so weiß, dass es in den Augen schmerzte.
Wir ließen den See hinter uns und bogen auf die Straße ein, die zum Gotthardpass führte. Sie wand sich zwischen bewaldeten Hügeln und Weiden hindurch. Vieh sahen wir jedoch kaum. Ich nahm an, dass die meisten Bauern ihre Tiere aus Angst vor Diebstählen in den Ställen gelassen hatten.
»Ich bin froh, dass sie uns dieser Versuchung nicht aussetzen«, sagte Lena, als wir darüber sprachen. »Der ein oder andere könnte ihr vielleicht nicht widerstehen.«
Sie richtete den Blick auf Ott, der mit nacktem Oberkörper einige Schritte vor uns ging. Ich nickte.
Diego hielt sich an das, was er gesagt hatte, und bemühte sich auch weiterhin darum, mir nicht zu begegnen. Doch er entfernte sich nicht mehr so weit vom Kreuzzug wie zuvor, suchte stattdessen Lukas’ Nähe. Es waren nur kurze Gespräche, die beide miteinander führten, und wenn ich ihnen nahe genug war, konnte ich die Anspannung in Lukas’ Gesicht erkennen. Er bemühte sich um Höflichkeit, aber das fiel ihm sichtlich schwer. Ich wusste nicht, was Diego mit diesen Gesprächen bezweckte. Auf mich wirkten sie wie eine Provokation.
Außer den Bauern und Knechten, die uns ab und zu ihre Waren verkaufen wollten, begegneten wir kaum Menschen. Die Pilger und Händler, denen wir auf unserer Reise so oft begegnet waren, schienen die Straße zum Gotthardpass zu meiden. Die wenigen, die wir trafen, hatten wie wir noch nie die Alpen überquert und verließen sich auf die Ratschläge von Freunden.
Doch am Mittag des nächsten Tages sahen wir Karren. In einer langen Reihe kamen sie uns entgegen. Eine Weile lang, als sie noch weit entfernt waren, hielten wir die Menschen, die auf ihnen saßen und neben ihnen gingen, für Händler, doch irgendwann bemerkten wir die Lumpen, die sie trugen, und ihre nackten Füße. Das, was sich auf den Karren stapelte, waren keine Waren, sondern Habseligkeiten. Ein paar Möbelstücke, Werkzeug, Kleidung und Vorräte. Hühner, die man mit Stricken an den Brettern festgebunden hatte, flatterten umher. Bauern trieben Vieh mit langen Gerten vor sich her. Sie sahen nicht aus wie Reisende, sondern wie Menschen, die auf der Flucht waren.
Die Kolonne kam zum Stehen, als wir auf einer Höhe mit ihr waren.
»Gott zum Gruße«, sagte Nicolaus.
Der Fahrer des ersten Karrens, ein alter Mann mit faltigem, sonnenverbranntem Gesicht und einem weißen Bart, der ihm fast bis zum Bauch reichte, nickte. »Seid ihr auf dem Weg zum Gotthard?«, fragte er. Es fiel mir schwer, ihn zu verstehen.
»Was hat er gesagt?«, flüsterte Lena neben mir. Ich wiederholte seine Frage.
»Ja«, antwortete Nicolaus. »Wir sind ein Kreuzzug, der das Heilige Land befreien wird.«
Der alte Mann zeigte mit dem Kopf zurück in die Richtung, aus der die Kolonne gekommen war. »Aber nicht, wenn ihr den Gotthard nehmt. Da oben stehen Ottos Truppen. Sie plündern die Dörfer und tun den Frauen Gewalt an. Wir sind geflohen, bevor sie auch über uns herfallen konnten. Ist eine verdammte Sauerei.«
»Truppen?«, fragte Lukas nach. Er war neben Nicolaus getreten. »Blockieren sie den Pass?«
»Otto weiß, dass Friedrich einen der Pässe nehmen muss, will er sich im Heiligen Römischen Reich zum König krönen lassen. Also hat er die großen Passstraßen abgeriegelt. Wer da durch
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