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Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition)

Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition)

Titel: Das Schwert und die Lämmer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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will, muss an seinen Truppen vorbei.« Der alte Mann warf einen Blick über den Kreuzzug. Unter den buschigen weißen Brauen waren seine Augen fast nicht zu sehen. »Ihr seid viele, vielleicht habt ihr Glück, und die Soldaten lassen euch in Ruhe. Darauf wetten würde ich aber nicht.«
    »Wir müssen nicht darauf wetten.« Nicolaus drehte den Schäferstab zwischen den Fingern. »Gott hält seine Hand über uns.«
    Der alte Mann schnalzte mit der Zunge. Die Ochsen, die den Karren zogen, setzten sich in Bewegung. »Das haben schon viele geglaubt.«
    Langsam zog die Kolonne an uns vorbei. Ich blickte in müde, erschöpfte Gesichter, sah zusammengekniffene Lippen und stumpf blickende Augen. Die Menschen musterten uns ebenfalls. Eine alte Frau bekreuzigte sich, ein Mann betrachtete uns mit einem Ausdruck, den ich erst verstand, als sie längst weitergezogen waren.
    Mitleid. Er hatte Mitleid mit uns.

Kapitel 16
    Keiner von uns wollte umkehren. Ich sah es in den Gesichtern der Kreuzfahrer, hörte es in ihren Gesprächen, spürte es in mir selbst. Nicolaus schritt voran, in die Hügel hinein, den Alpen entgegen, und wir folgten ihm.
    Immer mehr Menschen kamen uns entgegen, unter ihnen jedoch nur wenige Dorfbewohner. Die meisten waren Pilger, die in kleinen Gruppen reisten, und Händler, die sich zu Karawanen zusammengeschlossen hatten. Die Geschichten, die sie uns erzählten, unterschieden sich kaum. Truppen blockierten den Pass, es wurde gemordet und geplündert. Man riet uns, auf einen anderen Pass auszuweichen oder gar umzukehren, aber Nicolaus lehnte stets ab, bat Pilger stattdessen, sich uns anzuschließen und mit Gottes Schutz die Alpen zu überqueren. Niemand folgte der Aufforderung. Nach einer Weile beachtete ich die Unterhaltungen nicht mehr.
    Die Wiesen rechts und links der Straße wurden steiler. Das Gras stand hoch. Mädchen liefen hindurch und pflückten die bunten Blumen, die überall wuchsen. Es war warm und sonnig. Die Gefahr, von der die Dorfbewohner und all die Pilger gesprochen hatten, erschien mir weiter entfernt als Winetre. Selbst das Mitleid, das ich im Gesicht des alten Mannes gesehen hatte, berührte mich kaum noch. Mir ging es nicht allein so. Überall wurde gelacht und gescherzt. Die Gespräche drehten sich um die Berge und das Land, das uns dahinter erwartete, nur selten um die Soldaten.
    »Sie werden uns nicht angreifen«, hörte ich Gottfried hinter mir sagen. »Das sind Christen wie du und ich. Wenn sie hören, wohin wir unterwegs sind, werden sie uns Glück wünschen, mehr nicht.«
    »Wäre auch besser für sie.« Ott lachte laut. Einer der Ochsen schnaubte und schüttelte den Kopf, Fliegen stiegen von seinen Ohren in die Höhe. Sie waren überall, saßen vor allem auf den Tieren und den Karren voller Lebensmittel. Kleine Kinder versuchten sie mit Zweigen zu vertreiben, scheuchten sie aber nur kurz auf. Ich hatte noch nie so viele Fliegen gesehen.
    »Das ist der Teufel«, sagte Konrad abends, als wir am Feuer saßen und darauf warteten, dass Hermann unsere Rationen brachte. »Er beobachtet uns durch ihre Augen.«
    Die anderen sahen von ihrer Arbeit auf. Sie stopften Kleidung und schnitzten Speere für den Fischfang. In den Gebirgsbächen schwammen die Fische manchmal so dicht nebeneinander, dass man sie fast mit der Hand fangen konnte.
    »Woher weißt du das?«, fragte ich.
    Konrad hob die Schultern. »Lukas hat das zu Hugo gesagt.«
    »Was dem Teufel alles einfällt.« Lena schüttelte sich. »Ekelhaft.«
    »Nein«, sagte Konrad. Er legte seinen Speer neben sich. »Lukas meinte, das sei gut, weil es zeigt, dass er Angst vor uns hat.«
    »Ich fände es besser, wenn der Teufel uns einfach in Ruhe ließe.« Lena strich über einen neuen Flicken in ihrem Rock. »Man kann nur in Frieden leben, wenn man den Mächtigen nicht auffällt.«
    »Aber wir wollen doch nicht in Frieden leben, sondern das Heilige Grab befreien«, entgegnete Konrad. Feuerschein erhellte seine Augen, ließ sie glänzen wie im Fieber. »Oder glaubst du nicht, dass wir das schaffen werden?«
    Hermann hob den Kopf, sah aber nicht zu uns herüber. Mir war nicht aufgefallen, dass er zuhörte.
    »Wir glauben alle fest daran«, sagte ich, bevor Lena antworten konnte. »Aber wer wird schon gern vom Teufel belauscht? Das wollte Lena damit ausdrücken.«
    Sie warf mir einen Blick zu und nickte dann wortlos.
    Hermann senkte den Kopf. Er war ein schüchterner Junge, stets höflich zu allen am Feuer. Trotzdem sprachen wir nicht offen,

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