Das Science Fiction Jahr 2013 (German Edition)
aber ist nichts mehr zu sehen. Außerdem hat er, wie seine Frau ihm versichert, nie einen Hund besessen.
Solche unheimlichen Ereignisse häufen sich: Auf den Tellern eines feinen Restaurants sieht er, anders als alle anderen, nur ekliges Haschee zweifelhafter Herkunft. Überhaupt gleicht das Restaurant einer schlampig gebauten Kulisse, ja die ganze Stadt zeigt sich seinem kritischen Blick immer mehr als Attrappe, die Bewohner als Figuren in einer gigantischen Inszenierung. Und er spürt, dass die stereotypen Bilder, aus denen sich seine Erinnerung zusammensetzt, nicht sein wirkliches Wesen und seine wirkliche Vergangenheit ausmachen können. Aber warum ist er der Einzige, der die Welt so wahrnimmt?
Paranoia – das suggeriert ein befreundeter Psychiater dem verwirrten Zahnarzt, auch wenn er es so direkt nicht sagt. Wir, die Hörer, wissen natürlich, dass dies nicht die Lösung des Rätsels sein kann, denn schließlich haben wir ja, in Erwartung handfester Science-Fiction-Szenarien, schon die Partei des unangepassten Anders ergriffen. Und bekommen selbst auch die diversen Unstimmigkeiten in dieser Hör-Landschaft mit: Die Hunde bellen und die Vögel zwitschern wie Automaten-Tiere, raunende Stimmen beschwören mit Sätzen wie: »Wir sind in dir! Du bist wir!« eine dubiose Einheit mit wem auch immer.
Parallel zu den Mängeln an hingepfuschten Bauwerken und Gegenständen gibt es auch in der Sprache der Figuren gelegentliche Aussetzer, defekte oder deformierte Wörter. Dann fängt der Protagonist selbst an zu rätseln: »Hat man uns falsche Erinnerungen eingepflanzt? Stehen wir unter Hypnose und nur bei mir lässt die Konditionierung nach? Sind wir Versuchskaninchen in einem riesigen Experiment?«
Kein Wunder, dass wir allmählich verdammt neugierig werden, wohin die Geschichte laufen kann: Richtung »Zeit aus den Fugen« 12 – eine Stadt, die als falsche Idylle nur für den Protagonisten aufgebaut wurde, um seine geniale Sonderbegabung nutzen zu können, die er freiwillig einer Krieg führenden Regierung nicht zur Verfügung stellen würde? Oder wird Anders nach einem Blick in den »Tunnel unter der Welt« 13 feststellen müssen, dass er und seine Mitbürger nur Mini-Roboter mit den elektronisch implantierten Bewusstseinsmustern verstorbener Menschen sind, an denen ein skrupelloser Mega-Unternehmer jetzt Werbestrategien testet? Oder …
Das Ende kommt, nach einigen höchst abenteuerlichen Wendungen und viel Spannungsaufbau, leider nicht übermäßig überzeugend. Der Psychiater, der ihm die Paranoia einreden wollte, und, wie wir schon ahnten, es natürlich besser wusste, erklärt dem gebeutelten Helden den Zweck der geheimnisvollen Inszenierung folgendermaßen: »SIE brauchen uns. Ihre Kinder brauchen uns, um ihre Welt besser begreifen zu können.« Und als der arme Anders Allzir nachhakt: »Wer sind sie, diese Anderen?«, wird ihm ausweichend geantwortet: »Uns überlegen. Wie wir den früheren Menschen.« – »Und woher kommen sie?« – »Sie waren immer schon da.« Aha. Ja dann.
Wie zur Bestätigung dieser Deutung beschließen in der allerletzten Szene zwei schrecklich altkluge Kinder, das langweilige Spiel abzubrechen, um sich ein neues auszudenken, und spätestens an dieser Stelle, fürchte ich, wird der jüngere Hörer frustriert durchatmen. Der ältere oder einfach fortgeschrittenere Science-Fiction-Freund könnte allerdings einen Flashback erleben: Das war doch die Grundidee des mittlerweile 45 Jahre alten Hörspielklassikers Das Aquarium von Christa Reinig 14 ! Bodo Traber bestätigt das ohne Zögern und hat dazu sogar einen launigen Hinweis eingebaut – wenn der Patientin »Frau Reinig« ein Zahn gezogen wird.
Der Kenner hat daran seinen Spaß, ebenso wie an zahlreichen anderen Reminiszenzen, vielleicht fragt er sich aber dennoch: Warum fand er damals die Idee mit den infantilen Superintelligenzen und den entsprechenden Schluss bei Christa Reinig zwar überraschend, aber nicht enttäuschend? Vielleicht, weil ihre Auflösung näher bei Büchner ist: Ausdruck eines Gefühls, einer Befindlichkeit in der Welt, das keine quasi logische Erklärung braucht? Die Schlusswendung im Hörspiel Puppenstadt bleibt für mich irgendwo auf halbem Weg zwischen existenzieller Metapher und Dänikens pseudowissenschaftlicher Außerirdischen-Forschung stecken.
Keine Frage: Die Autoren und ihre Regisseurin Petra Feldhoff sind ein Team, das lustvoll und geschickt die Register der Radiophonie zieht, unterstützt durch
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