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Das Science Fiction Jahr 2013 (German Edition)

Das Science Fiction Jahr 2013 (German Edition)

Titel: Das Science Fiction Jahr 2013 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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wiederherzustellen und seine Kritiker zu beschwichtigen. Er ignoriert rationale Einwände und gewinnt eine »irrational-emotionale« Bestätigung seiner Handlungsweise. Insofern erzeugt Lem hier eine literarische Wirkung aus der Eigendynamik des menschlichen Beziehungsgeflechts, das kaum auf logisch klare Funktionsweisen runterzubrechen ist, und nicht allein aus der sachlichen Schilderung einer fremdartigen technischen Existenzform. Kann an diese überhaupt ein Maßstab der empirischen Richtigkeit angelegt werden? Lem beschreibt nicht, wie die Schwärme genau funktionieren, wie ihre Selbstreproduktion abläuft, wie sie energetisch versorgt werden. Aber durch solche Auslassungen wird gerade die Phantasie des Lesers angeregt, der sich fragt, was sich wohl jahrtausendelang auf dem Planeten abgespielt haben mag. Die Faszination entsteht auch aus einer »archaisch« inszenierten Bedrohungssituation: Die Mannschaft ist auf sich allein gestellt einer Gefahr ausgesetzt, ohne auf den Rückhalt der technischen Zivilisation setzen zu können; vermutlich käme es bei ähnlichen Expeditionen in Wirklichkeit zu abgestuften Sicherheitsmaßnahmen, indem etwa automatische Sonden eine Vorhut bilden, sodass sich eine einzelne Mannschaft nicht einem solchen Risiko aussetzen müsste. Lem hat also ein mehrdimensionales Werk geschrieben, in dem die Erfassung der Metallschwärme nur ein Aspekt ist. (Ebenso wie die Wirkung seines Romans »Solaris« nicht nur auf seinen Ausführungen zur Solaristik beruht.)
    Die Funktion der Science-Fiction-Literatur ist nicht sachliche Korrektheit, sondern Deutung, Ausschmückung – also das, was Lem als Rhetorik angesprochen hat. Es geht im engeren Sinne nicht um Wissenschaft, Information, Philosophie, sondern um Traum, Ahnung, intuitive Vorausschau. Jeder Text ist eine »symbolische Maschine«, die – wenn sie gut funktioniert – einen Überschuss-Sinn erzeugt. Beim Lesen eines literarischen Werks zieht vor dem inneren Auge des Betrachters ein ganzer Strom von Impressionen und Ideen-Splittern, Realwelt-»Aufnahmen« und Atmosphären vorbei, die schwerlich einer logischen Kohärenz zu unterwerfen sind. Dem gegenüber weisen wissenschaftliche Texte mit ihrer strengen Argumentation ein viel geschlosseneres Diskurs-Universum auf. Als Literat schreibt man etwas, das über einen hinausgeht – aufgrund der Anlage ist »mehr« drin in seinem Werk, als der Autor sich beim Schreiben gedacht, als er ausgelotet hat. Der Schriftsteller gibt den Kontext einer Zeichen-Welt vor, den der Leser je nach seinen Voraussetzungen mit Inhalten füllt – dieser hat nicht nur eine Interpretationsmöglichkeit. Lem schreibt von einer »polystrukturellen Mischung«, in der die semantische Gestalt des Werks entsteht (Phantastik und Futurologie I). Was er in diesem Fall auf die Tonart von Gedichten bezieht, lässt sich auf größere Texteinheiten übertragen. Die Vielfältigkeit des einbezogenen Materials und des sprachlichen Ausdrucks wird dabei irgendwann vom Autor nicht mehr beherrscht, er verliert im positiven Sinne die »Kontrolle« über den Text. Das nicht nur, weil das Schreiben ein »selbstorganisierter Prozess« ist, den der Autor in Gang setzt, sondern auch, weil sich in ihm Bedeutungskomplexe verdichten können, die sich seiner bewussten Aufmerksamkeit entziehen. (Es sei hier an Manfred Geiers lesenswerte Analyse von »Solaris« aus dem Jahr 1979 erinnert, in der der Ozean aufgrund der Art seiner Umschreibung als Metapher für die weibliche Vagina interpretiert wird, vor der die männlichen Forscher innerhalb der Raumstation gut geschützt sind.)
    Kurz: Die Literatur geht nicht auf in einer empirischen Erfassung von Wirklichkeit. Ganz im Gegenteil hat man oft eher den Eindruck, dass, je näher man den Tatsachen kommen will, sie sich umso mehr auflösen. Selbst die realistische Welt-Deutung ist schon immer »niedrig«-phantastisch, -fiktiv (und dabei begrenzt durch die Einschränkungen der »akzeptierten« sozialen Umwelt): Zeugen eines Verkehrsunfalls geben verschiedene Beschreibungen ein und desselben Ereignisses. Die Vorstellungskraft ist grundsätzlich »anti-empirisch«, die literarische Fiktion findet in einem anderen »Realitätsmodus« statt, wie Dieter Wellershoff, ein Vertreter der realistischen Literatur, schreibt: »Mit der Fiktion kann die Erfahrung aber im Gegenteil gerade erweitert werden, weil die Bedingungen der Wirklichkeit entfallen, in der das, was man tut, Konsequenzen hat. Man ist viel offener; man

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