Das Science Fiction Jahr 2013 (German Edition)
annähernd gesichert sein muss und es auf ihre empirische Richtigkeit gar nicht ankommt, schon deshalb, weil für solche Probleme noch gar keine genaueren Vorstellungen, Begriffe existieren. Science Fiction ist ein Gedankenspiel mit den Existenzbedingungen, ohne Rücksicht auf Naturgesetze und kulturelle Gegebenheiten. Die Freiheit der Phantasie ist von größerer Wichtigkeit als das Befolgen von Konventionen. Die Grenze zwischen Wissenschaft und Phantasie kann dabei auch gar nicht so genau gezogen werden, wie Lem später kommentiert, weil er sonst ein Sachbuch wie die »Summa technologiae« gar nicht hätte schreiben können, wenn er sich an den vermeintlichen Konsens der Wissenschaftler gehalten hätte. Festzuhalten bleibt, dass das Schaffen großer SF-Konzepte der einzige »Ausweg« ist, eine historische und physische Wirklichkeit mit sozialer Einengung und Gebundensein an die Naturgesetze wenigstens imaginär zu übersteigen, indem man die Deutungskapazität von Wirklichkeit erweitert und alles von einem kosmischen Standpunkt aus betrachtet. In seinem Essay »Meine Weltanschauung«, zuerst 1999 in dem Online-Magazin Telepolis erschienen, fragt Lem weitergehend, ob es eine »allgemeine epistemische und ontische Theorie für die gesamte Menge aller Psychozoiker des Universums« geben könne.
Mit »Psychozoikum« meint er offenbar, dass die Menschen einen Denkgegenstand wie »Universum« zuallererst über ihre Vernunft- oder Bewusstseinsfähigkeit und die sensorischen Fähigkeiten erzeugen, aber diesen nie in seiner umfassenden »Wahrheit« fassen können. Damit relativiert sich seine frühe empiristische Sicht auf die Literatur. Lem hat sich zuvor schon in dem Gesprächsband »Lem über Lem« von einer Verortung als Empirist distanziert, da »die Empirie, also das aus jenen Theorien abgeleitete Wissen, die unter der Kontrolle falsifizierender Experimente konstruiert wurden, sich nicht total abschließen lässt. Das heißt, dass die Empirie allmählich in die Außen-Empirie umschlägt«.
Kommen wir zu einem Fazit. Magnussons Arbeit ist wertvoll, weil sie den besonderen SF-Ansatz von Lem wieder ins Gedächtnis gerufen hat. Die Differenz zwischen dem Theoretiker und dem »Praktiker« Lem geht in seinem Text aber leider völlig verloren. Wenn man dessen Erbe aber bewahren will, muss man auch die Begrenzungen anerkennen. Ein Gutes haben die empirischen Regelverletzungen seiner Kollegen ja gehabt: Von diesen provoziert fühlte sich Lem berufen, »eine Sprache der erdachten Wissenschaft« zu benutzen – mit dem Ergebnis fiktiver Buchbesprechungen.
Wolfgang Neuhaus ist Phantastik-Experte und beschäftigt sich im HEYNE SCIENCE FICTION JAHR seit vielen Jahren mit den theoretischen Aspekten der Science Fiction.
David Hughes
WENN DEM WÜSTENPLANETEN DER SAND AUSGEHT
Vor fünfzig Jahren schrieb Frank Herbert eines der größten Epen der Science Fiction – und eines, an dem sich zahllose Filmemacher die Zähne ausbissen
Im Jahr 1963 begann das Science-Fiction-Magazin Analog mit der Veröffentlichung von »Dune World«, einer dreiteiligen Erzählung eines Autors namens Frank Herbert, der bis dahin nur einen einzigen Science-Fiction-Roman geschrieben hatte: »Der Drache in der See«, ein im 21. Jahrhundert angesiedeltes U-Boot-Abenteuer, das sieben Jahre zuvor erschienen war. Im folgenden Jahr druckte die Zeitschrift auch »Prophet of Dune«, die dreiteilige Fortsetzung der Saga. 1965 schließlich wurden die beiden Erzählungen unter dem Titel »Dune« (»Der Wüstenplanet«) vereint. Herberts komplexes, viele Jahrtausende in der Zukunft angesiedeltes Epos, das soziologische, ökologische, politische und theologische Aspekte umfasst und sich über verschiedenste Welten erstreckt, wurde sowohl mit dem Hugo als auch dem Nebula Award ausgezeichnet – ein neuer, bedeutender Science-Fiction-Visionär war auf den Plan getreten. »Der Wüstenplanet«, der seitdem stets im Druck geblieben ist, hat ganze fünf Fortsetzungen hervorgebracht: »Der Herr des Wüstenplaneten« (1969), »Die Kinder des Wüstenplaneten« (1976), »Der Gottkaiser des Wüstenplaneten« (1981), »Die Ketzer des Wüstenplaneten« (1984) und »Die Ordensburg des Wüstenplaneten« (1985); darüber hinaus haben Frank Herberts Sohn Brian und Kevin J. Anderson etliche Romane geschrieben, die versuchen, die Geschichte in alle Richtungen weiterzuentwickeln. Verfilmt wurde der Roman zum einen von Regisseur David Lynch in Form eines Spielfilms (1985), zum anderen
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