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Das sechste Herz

Das sechste Herz

Titel: Das sechste Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Puhlfürst
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gekümmert.«
    »Und wie lange dauerte die Therapie damals?«
    »Nur wenige Monate. Regine war der Meinung, Magnus werde nicht richtig geholfen, und hat die Besuche dort beendet. Anscheinend gab es Differenzen über die richtige Behandlung.«
    Wahrscheinlich wäre es besser gewesen, der Junge hätte die Therapie fortgesetzt. Mark schwieg. Schade, dass Wulf Geroldsen nicht wusste, bei wem sein Sohn damals gewesen war. Aber das ließ sich vielleicht herausfinden. »Sie sagten vorhin, Ihrer Meinung nach muss der Täter jemand gewesen sein, der Ihre Familie kannte. Wer käme denn dafür infrage?«
    Wulf Geroldsen hatte jetzt einen verblüfften Gesichtsausdruck. Obwohl er fest davon überzeugt zu sein schien, dass sein Sohn unschuldig war, hatte er offenbar noch nie ernsthaft darüber nachgedacht, wer denn dann die Taten begangen haben könnte. Doch nachdem Mark ein paar weitere Fragen gestellt hatte, zeigte sich sehr schnell, dass der Mann keine Ahnung hatte. Weder hatte er die Freunde seiner Kinder gekannt, geschweige denn deren Eltern, noch hatte er sich um ihre schulischen Belange gekümmert oder darum, womit sie sich in ihrer Freizeit beschäftigten. Das war die Aufgabe der Mutter gewesen. Als Vater sei er dafür zuständig gewesen, das Geld heranzuschaffen.
    Nachdem Mark Wulf Geroldsen versichert hatte, »an der Sache dranzubleiben«, verabschiedete er sich und dachte auf dem Weg zum Auto über die Sache nach. Es gab mehrere Möglichkeiten.
    Erstens: Der Vater hatte recht mit seiner Theorie, und Ma-gnus Geroldsen war unschuldig. Zweitens: Der »Schlachter« in Leipzig war jemand, der Magnus von früher kannte – zum Beispiel aus der Therapie – und der ihn vermutlich nachahmte oder sogar verehrte. Drittens: Die Taten von damals und heute hatten nichts miteinander zu tun.
    Erstens und drittens waren der Faktenlage nach unwahrscheinlich bis ausgeschlossen. Er würde sich Punkt zwei widmen. Alles andere war Quatsch. Das bedeutete, dass er herausfinden musste, wer dieser Kinder- und Jugendpsychiater gewesen war, und Kontakt zu ihm aufnehmen.
    Aber zuerst würde er Lara anrufen.

33
    Lara hatte ein Déjà-vu. Erst am Donnerstag waren sie die Leipziger Straße auf dem Weg nach Eilenburg entlanggefahren, um sich den Fundort von Lisa Bachmanns Leiche anzusehen, und heute, nur zwei Tage später, saßen Jo und sie schon wieder im Auto und fuhren in diese Richtung. Nur dass die Reise diesmal nicht bis nach Eilenburg, sondern nur bis Taucha gehen sollte. Ihr schlechtes Gewissen rumorte im Magen wie ein aufgeregtes Bienenvolk, es surrte, zwickte und zwackte an allen möglichen Stellen. Sie hatte seit drei Tagen keinen vernünftigen Artikel geschrieben. Die Recherchen zu den Herzen und Lisa Bachmann ergaben zwar eine ganze Serie, aber sie hatte sie noch nicht fertig. Demnächst würde ihr das Geld ausgehen. Jo dagegen schien es nie an Aufträgen zu mangeln. Er schaffte es, überall und nirgends zu sein und aktuelle Fotos an Zeitungen und Agenturen zu verkaufen, und hatte trotzdem Zeit, mit ihr herumzufahren und Leute zu befragen.
    Sie legte die Handfläche auf den Bauch und versuchte, die Nervosität mit ein paar guten Vorsätzen zu beruhigen. Heute war Sonnabend, und spätestens morgen würde sie sich wieder ernsthaft an die Arbeit machen, Aufträge akquirieren und Texte schreiben, die sich verkaufen ließen. Nur diese eine Überprüfung noch, dann war Schluss mit dem Miss-Marple-Dasein.
    Geräuschlos glitten die Scheibenwischer über die Frontscheibe von Jos Honda. Seit einer halben Stunde hatte es begonnen zu schneien. Winzigen Ballettröckchen gleich tanzten Schneeflocken herab, taumelten und wirbelten durch die Luft. Dächer, Gehwege und die Autos am Straßenrand waren bereits mit einer feinen weißen Schicht überpudert. Den ganzen Vormittag hatten Jo und sie damit verbracht, in der näheren Umgebung von Leipzig nach Leuten zu suchen, die »Frank Studer« hießen.
    Weil der Name relativ ungewöhnlich war, hatte die Trefferquote nicht allzu hoch gelegen. Natürlich war nicht gesagt, dass »ihr« Frank Studer tatsächlich in Leipzig oder im Umfeld der Stadt wohnte, nur weil er hier eine Therapiegruppe besuchte. Manch einer nahm wahrscheinlich größere Entfernungen in Kauf, um bei den Anonymen Alkoholikern nicht auf Bekannte zu treffen. Es mochte außerdem Personen gleichen Namens geben, die nicht in den Internettelefonbüchern gelistet waren. Das Ganze glich einem Roulette. Mit irgendeiner Arbeitshypothese hatten sie

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