Das sechste Herz
jedoch operieren müssen, zumal ihnen Kraft und Zeit fehlten, einen größeren Radius abzudecken.
Und so waren sie bei ihrer Suche in der Region auf insgesamt sechs Personen gestoßen. In Leipzig-Stadt waren drei eingetragen, einer in Wiedemar, einer in Lützen und einer in Schkeuditz. In Taucha gab es laut Telefonbuch noch einen Friedrich Studer. Vielleicht wohnte dieser Frank mit seinem Bruder oder Vater zusammen? Zwei der Leipziger hatten sie nach ein paar Anrufen und Internetrecherchen relativ schnell ausschließen können – einer lag deutlich über dem angegebenen Alter des Gesuchten, einer kannte angeblich keine Lisa Bachmann, und den dritten hatten sie nicht erreicht. Bei den anderen dreien hatten sie die Karte herangezogen. Wiedemar befand sich im Nordwesten, ebenso wie Schkeuditz, und Lützen im Südwesten der Großstadt. Taucha dagegen – eine Kleinstadt, die nordöstlich direkt an Leipzig grenzte – lag auf direktem Weg nach Eilenburg. In Eilenburg hatte man Lisa Bachmanns Leiche gefunden. Weit hergeholt, sicher, aber Jo und Lara hatten nicht lange diskutiert. Ihre erste Wahl war auf Taucha gefallen, auch, wenn es dort nur einen Friedrich Studer gab.
»Da vorn müssen wir rechts abbiegen. Dann kommt so eine Art Waldweg.« Jo redete nicht mit ihr, sondern mit sich selbst. Lara kannte das. Es half ihm, sich zu konzentrieren. Auf dem Bildschirm des Navigationsgerätes war ein großer grüner Fleck zu sehen, in den eine braune Linie führte. »Ziemlich abgelegen, das Grundstück.«
»Wir schauen uns um, klingeln, sprechen mit diesem Friedrich Studer und verschwinden wieder. Hoffentlich ist er da.« Lara konnte das Schlingern der Räder beim Abbiegen unter ihrem Hinterteil fühlen. Jo fuhr wie immer zu schnell.
»Ich hoffe, wir verrennen uns da nicht in eine Sache, die letztendlich zu nichts führt.« Er schien die gleichen Bedenken zu haben wie sie selbst vorhin. »Wenn hier nichts Sinnvolles rauskommt, hören wir mit dem Detektivspielen auf, Lara. Es kostet unheimlich viel Zeit, und wir sind nicht die Kripo.«
»Das Gleiche habe ich auch schon gedacht.«
»Dann sind wir ja einer Meinung. Ich hatte schon befürchtet, du würdest dich in die Sache verbeißen.«
»Ich?« Ein kleines bisschen Zorn erwachte in Lara. »Warst du nicht derjenige, der mich überredet hat, zu jedem Tatort zu fahren? Jetzt mach aber mal halblang!«
»Ach komm. Lass uns jetzt nicht streiten. Natürlich bin ich interessiert an den Fällen, aber du doch auch.« Das Auto holperte über ein paar Schlaglöcher, und Jo kurbelte heftig am Lenkrad. »Mein Navi sagt, dass wir gleich da sind.«
Lara sah hinaus. Eine Parade von mannshohen Fichten begrenzte den Weg, dahinter erstreckte sich ein undurchdringliches Waldstück. Ihr Ärger war verraucht. »Hier möchte ich nicht wohnen. Das ist gruselig, besonders nachts. Keine Nachbarn, niemand in der Nähe. Da bist du aufgeschmissen, wenn etwas passiert.«
Jo, der nichts antwortete, hatte die Geschwindigkeit verringert und schaute ernst nach vorn. Linker Hand tauchte jetzt ein grau gestrichener Zaun auf, nach mehreren Hundert Metern folgte ein Eisentor. »Da wären wir.« Er fuhr an den Wegrand, zog die Handbremse an und deutete dann auf das halb geöffnete Tor. »Sieht aus, als ob jemand zu Hause ist. Vielleicht haben wir Glück.«
Lara schob ihr Diktiergerät in die Jackentasche, stieg aus und hielt sich am Seitenholm fest. Der Boden war rutschig. Ihr Puls beschleunigte sich, als sie Jo folgte. Der Freund war schon am Tor angelangt und suchte nach einer Klingel.
Hinter den aluminiumfarbenen Stangen führte ein Kiesweg zu einem kleinen, zweistöckigen Haus, das sich hinter einige Büsche duckte. Ein Garten mit vertrockneten Stauden und jahrelang nicht beschnittenen Obstbäumen erstreckte sich zu beiden Seiten der ockerfarben verputzten Mauern. Nur die Auffahrt zur Garage war sauber gekehrt, der Beton frei von Zweigen und Laub.
»Sehr bewohnt sieht das nicht gerade aus.« Lara war vor dem Tor stehen geblieben. Sie fröstelte. Das Grau der Wolken schien auf die gesamte Umgebung abzufärben. In ihrem Rücken krächzte ein Eichelhäher.
»Eine Klingel gibt es auch nicht.« Jo hatte die Hände in die Hosentaschen geschoben und einen nachdenklichen Blick aufgesetzt. »Wollen wir reingehen?«
»Wenn wir es nicht versuchen, ärgern wir uns nachher doch bloß.« Die winzigen Schneeflocken kamen jetzt dichter herabgeschwebt. Lara legte den Kopf in den Nacken, streckte die Zunge heraus und
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