Das sechste Opfer (German Edition)
herum, um dort aus dem Fenster zu sehen. Aber auch in den Hinterhof schlichen gerade fünf Mann eines Spezialeinsatzkommandos, schwer bewaffnet und zu allem bereit.
Nach unten konnte ich nicht mehr. Blieb mir nur der Weg nach oben.
Ich rannte zur Ausgangstür und lief die Treppen hinauf. Unten hörte ich Fußgetrappel, sie waren schon im Haus.
Mein Herz raste, und ich hoffte, dass sie nicht so schlau waren, meine Bewegungen zu berechnen und oben auf mich zu warten.
Es fiel mir unglaublich schwer, die paar Stockwerke zu erklimmen, meine Lungen brannten schon nach wenigen Treppenstufen und ich hatte das Gefühl, dass mein Herz zerspringen wollte. Das war die Quittung, die ich nun für zu wenig Schlaf und zu wenig Essen in den letzten Tagen und Nächten erhielt. Heute würde ich ihnen mit Sicherheit nicht davonlaufen können.
Sie kamen immer näher. Als sie im ersten Stock waren, hörte ich, wie sie meinen Namen riefen und mich zur Aufgabe überreden wollten.
Ich hingegen stand vor dem Ende des Treppenhauses. Ich war im fünften Stockwerk angelangt und hier war Schluss. Die Stahltür zum Dachboden war verschlossen und verriegelt, einen anderen Ausweg gab es nicht. Ich saß in der Falle.
Es hatte keinen Zweck, ich musste aufgeben. Ich überlegte gerade, ob es besser wäre, mich wieder auf den Weg nach unten zu machen und ihnen ihn die Arme zu laufen, oder hier auf sie zu warten, damit auch sie in den Genuss der fünf Stockwerke kamen, als mir einfiel, was ich schon seit Tagen in einem Plastikbeutel mit mir herumschleppte. Die Uniform!
Sie war auf den ersten Blick nicht von einer normalen Polizeiuniform zu unterscheiden. Auch wenn die meisten der Polizisten aus dem Spezialeinsatzkommandos in Schwarz gekleidet waren, so würde sich bestimmt eine Ausrede einfallen lassen, warum ich mich ebenfalls hier aufhielt.
In Windeseile holte ich die Uniform aus der Tüte und zog sie an. Sie war mir zu groß, so dass ich meine Shirts darunter anbehalten konnte. Die Hose zog ich allerdings aus und wickelte sie mir als eine Art Bauch um die Hüfte. Dann drückte ich die Mütze tief auf meinen rasierten Schädel. Wenigstens passte die.
Es war höchste Zeit. Sie waren nicht mehr weit entfernt, nur noch zwei Stockwerke unter mir.
Ich nahm die Pistole in die Hand und hämmerte an eine Tür. »Polizei! Machen Sie auf!«, rief ich.
Als sich die Tür öffnete und ein Zahnarzt mit Mundschutz und einer verängstigten Patientin samt zwei Sprechstundenhilfen herauskam, stiegen zwei Polizisten mit ihren Waffen im Anschlag die Treppe hoch und sahen mich verdutzt an.
Ich schrie den Zahnarzt an: »Sie müssen das Haus verlassen, das ist ein Polizeieinsatz. Raus hier. Ein Killer ist im Haus.«
»Was?«
»Keine Fragen. Raus hier!«
Er und die Frauen verließen mit ängstlichen Gesichtern die Praxis, wobei ich der einen noch meine Tüte mit dem Computer in die Hand drückte.
Dann sprang ich zur Tür an der anderen Seite und klopfte dort.
Die Polizisten erholten sich schnell von ihrer Fassungslosigkeit. Einer nahm seinen Helm ab und kläffte mich an. »Was soll das denn? Sie machen das ganze Haus rebellisch?«
Ich kläffte zurück. »Wollen Sie etwa, das Unbeteiligte zu Schaden kommen? Da ist ein gefährlicher Killer im Haus, was machen Sie, wenn der sich Geiseln nimmt?«
Der Polizist verstummte und setzte seinen Helm wieder auf.
Aus der Wohnung, an der ich gerade geklopft hatte, kam das aufgeregt schnatternde Team einer Filmproduktionsfirma, das nach einem energischen »Psst, da ist ein Killer im Haus« sofort
verstummte.
Die Polizisten stiegen hinauf bis zum Dach, wo sie wie ich feststellten, dass es dort nicht weiterging, und wieder ein Stockwerk hinab liefen und die dortigen Wohnungen untersuchten. Während ich auf dem Weg nach unten in jedem Stockwerk die Leute rausklingelte und somit für ein heilloses Durcheinander sorgte, wurde im ersten Stock die Praxis belagert und ich hörte, wie ein offenbar Leitender Polizist eine heulende Frau am Apparat hatte, die erklärte, dass sie nicht aus dem Büro herauskomme, weil sie fürchtete, dass der Mörder noch da sei.
Er sah sich völlig irritiert und entnervt um, weil so viele Leute durch das Treppenhaus rannten, aber er entdeckte mich nicht.
An der frischen Luft ging ich lächelnd zu der Sprechstundenhilfe, die so freundlich gewesen war, meine Tüte für mich zu tragen, nahm sie ihr dankend ab und suchte nach einem Weg, unauffällig zu entkommen. Ich tat ein wenig wichtig und gab den Leuten Anweisungen, bis
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