Das sechste Opfer (German Edition)
beobachtete, wie die Hausherrin den Rasenmäher aus der Garage holte, die lückenlos an das Grundstück nebenan anschloss. Diese Garage hatte ein Fenster.
Das Fenster ins verbotene Land.
Als die Frau meinen Blick bemerkte, lächelte sie mich an, dann schaltete sie den Rasenmäher ein, um den riesigen Rasen neben ihrem eindrucksvollen zweistöckigen Haus zu mähen. Sie wirkte gar nicht so unattraktiv, obwohl sie bestimmt weit über 50 war, aber sie hatte eine schlanke Figur, eine helle, klare Haut und ein selbstbewusstes Lächeln, als wäre sie es gewohnt, von Männern beobachtet zu werden. Ihr kinnlanges Haar war angegraut, doch noch immer voll und stand frech nach allen Seiten ab.
Ich sah ihr eine Weile beim Mähen zu und überlegte dabei fieberhaft, wie ich unbehelligt in ihre Garage gelangen könnte, doch mir fiel nichts ein. Ich ging weiter und sah mir das nächste Grundstück an.
Dort stand das Tor offen, der Gartenweg war vom Gras überwuchert und auch das Haus sah aus, als hätte es seinen letzten Anstrich vor dem ersten Weltkrieg erhalten. Es wirkte unbewohnt und vernachlässigt.
Ideal für mich. Von hier aus konnte ich versuchen, in das Nachbargrundstück einzudringen und von der Garage aus direkt in die Höhle des Löwen zu gelangen.
Ich zögerte nicht lange, denn ich wusste nicht, wie viel Zeit ich hatte, und sah mich um.
Keiner achtete auf mich. Also ging ich durch das offene Tor in den wuchernden Garten, immer den Zaun zum Nachbarn im Auge, um ein Loch oder eine andere Möglichkeit zu finden.
Ich fand sie. Weiter hinten, neben dem Komposthaufen, der eigentlich nur noch ein Haufen Dreck mit meterhohem Gras darüber war, hatte sich der Maschendrahtzaun vom Boden gelöst und ließ eine Öffnung frei. Hier waren mit Sicherheit schon zahllose Katzen, Marder und Füchse durchgeschlüpft, so dass ich mich nicht schämen musste, jetzt ebenfalls hindurch zu kriechen. Da mein Körper sich von dem eines Fuchses jedoch in Masse und Größe eindeutig unterschied, verbreiterte ich die Öffnung vorher noch ein wenig. Immer wieder sah ich mich um, doch hier konnte mich keiner beobachten. Von der Straße war ich durch das Gras geschützt, vom See durch eine dichte Hecke. Auf der gegenüberliegenden Seite des Gartens stand eine riesige alte Eiche, die der möglichen Neugier der Nachbarn Einhalt gebot.
Und die Frau nebenan war sowieso mit der Pflege ihres Rasens beschäftigt. Wenn sie sich auf diese Tätigkeit konzentrierte, lagen meine Chancen, unbemerkt in ihre Garage zu gelangen, sehr gut.
Ich kroch durch das Loch und versuchte dabei, meine Uniform nicht unnötig schmutzig zu machen. Es gelang mir nicht ganz, aber sobald ich auf der anderen Seite war, klopfte ich mir den Dreck von Hose und Rücken, soweit es eben ging.
Dann schlich ich zwischen den Sträuchern hinter dem großen Haus hinüber auf die andere Seite des Grundstücks, wo die Garage lag.
Dort brummte der Rasenmäher gemütlich vor sich hin.
Vorsichtig schaute ich hinter der Hauswand hervor und blickte auf die Straße. Dort stand der falsche Vater mit seinem Kinderwagen und musste ein paar kinderfreundliche Passanten abwehren, die das Kind sehen wollten. Ich zog den Kopf wieder ein. Keine gute Gelegenheit.
Als ich paar Sekunden später einen erneuten Vorstoß unternahm, waren die Leute auf dem Fußweg verschwunden. Jetzt oder nie.
Ich kam hinter dem Haus hervor und ging zügigen Schrittes in die Garage, wo ich mich auf die Werkbank stellte, das Fenster aufstieß und schnell durchkletterte. Der ganze Vorgang dauerte nicht länger als fünf Sekunden. Jetzt war ich tatsächlich auf feindlichem Boden gelandet.
Ich duckte mich sofort in die Sträucher und holte tief Luft. Alles schien ruhig. Der Wind strich durch die Blätter der Bäume und Sträucher und ließ sie leise rascheln. Sobald ein Auto vorüberfuhr, drang von der Straße her gedämpftes Motorengeräusch zu meinem Versteck. Vom See her konnte ich hören, wie eine Frau nach ihrem Hund oder Kind oder Liebhaber oder was weiß ich wem rief. Nichts Verdächtiges. Langsam richtete ich mich auf und schlich Richtung Haus, immer darauf vorbereitet, dass plötzlich ein Bodyguard oder Manuel vor mir stehen würde. Doch keiner kam mir in die Quere.
Ich erreichte das Gebäude ungehindert. Auf meiner Seite waren die Fenster dunkel. Dahinter lagen wahrscheinlich nur unbedeutende Räume, aber vom Fenster an der hinteren Seite des Hauses konnte ich einen Lichtschein sehen. Ich schlich vorsichtig hinüber, ging jedoch
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