Das sechste Opfer (German Edition)
hatte. »Was zieht denn bei den Leuten momentan? Was wollen sie mehr als alles andere?« Pause. Dann kam die Antwort gleich von ihm selbst. »Arbeitsplätze.« Er machte wieder eine effektvolle Pause, bevor er fortfuhr. »Wie wäre es, wenn man schon einmal das mit der Privatisierung verbundene allgemeine Wachstum simulieren würde? Eine Branche, die durch die Privatisierung der Autobahn und die damit verbundenen Bauphasen aus dem Boden schießt. Arbeitsplätze werden geschaffen – und schon haben Sie eine Menge Arbeitslose und kleinere Handwerksbetriebe hinter sich.«
»Das könnte aufgehen. Was versprechen Sie sich davon?«
»Momentan erst einmal nichts. Ich bin nur behilflich, aber mein Vorteil wird sich schon noch finden.« Er grinste überlegen.
»Und welche Simulation schlagen Sie vor?«
»Das müssen Sie sich schon selbst ausdenken. Vielleicht ein kleiner Betrieb, der auf einmal einen sensationell lukrativen Auftrag bekommt, wie die Zulieferung von Stahlschrauben für den Testbau einer Mautbrücke, und das Geschäft seines Lebens wittert, wenn die Autobahn tatsächlich privatisiert wird. Oder etwas Ähnliches. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.«
Der Glatzkopf lehnte sich entspannt zurück. »Und dann wird unser Angebot die Deutschen endgültig überzeugen. Es ist zwar weit unter dem eigentlichen Wert, aber wer weiß das schon.«
Der Kopfschüttler beruhigte sich. »Ich weiß, dass unsere größten Finanziers bereits in den Startlöchern stehen und mit ganzer Kraft sowohl die australische als auch die kanadische Bank abwehren. Es sollte nichts schief gehen.«
»Es wird nichts schief gehen.« Eine vierte Stimme meldete sich. Sie gehörte zu dem dicklichen, ungeduldig wirkenden Mann. »Wir werden uns ebenfalls hinter das Konzept stellen, vielleicht bringt uns die daraus resultierende Entlastung beim Mineralölpreis einen Profitschub, weil die Leute mehr Autos kaufen. Gerade in der Stadt, denn die müssen ja keine Autobahnen benutzen.« Er sprach mit leicht näselnder Stimme und hatte einen deutschen Akzent.
»Gut.« Der Glatzkopf schien zufrieden. »Dann können wir nun endlich das Konzept erarbeiten.«
Er redete noch etwas über den Umschwung, den dieser Schritt in der Infrastruktur-Politik ergeben würde, doch ich hörte nicht mehr hin. Ich dachte über das nach, was ich gerade gehört hatte.
Dr. Gruneveld hatte Recht gehabt. Hier saßen die offenbar mächtigsten Männer Europas und sprachen darüber, wie sie all das bekommen würden, was sie wollten. Wie Jungs, die einen Plan aushecken, um zu Weihnachten sowohl Fahrrad als auch Gameboy zu erhalten.
Doch die Männer darin waren alles andere als kleine Jungs. So, wie sie sich gegenseitig musterten und eiskalt kalkulierten, wirkten sie nicht wie normale Konferenzteilnehmer, sondern wie Raubtiere, die normalerweise niemals miteinander jagen würden, aber einen Pakt eingingen, um ein bestimmtes Rudel zu reißen. Ihre Haltung signalisierte höchste Aufmerksamkeit, Misstrauen und die Bereitschaft, sofort zuzuschlagen, sobald es erforderlich wurde. Wenn in freier Wildbahn ein Löwe einen Rivalen umkreist, um ihn einzuschüchtern, so waren es hier die Blicke der Männer und die Art, wie sie sich gaben, die ihre Dominanz widerspiegelten. Die unheimliche Stille der Hände bei dem einen, das ungeduldige Rollen des Kugelschreibers beim anderen, der kühl beobachtende Blick oder das überlegene Lächeln – dieses Verhalten gehörte zu menschlichen Raubtieren, die ihren Gegner im Visier behalten und keine Schwäche zeigen wollten.
Sie hatten gerade beschlossen, das deutsche Autobahnnetz zu privatisieren. Laut Zeitungsberichten war bei einigen Vertretern der Regierung tatsächlich schon einmal im Gespräch gewesen, das Netz teilweise oder komplett zu verkaufen, doch der Plan war wieder vom Tisch gefegt worden. Doch hier sprachen Männer davon, die ihre eigenen Pläne in die Tat umsetzen wollten. Ich hatte es so verstanden, dass der Glatzkopf aus der Bauindustrie kam. Wenn er von einem »wir« sprach, klang es so, als wäre er ein Vertreter sämtlicher Bauriesen Europas, die sich auf ein Angebot geeinigt hatten, das sie unserer Regierung unterbreiten wollten. Eine getürkte Auktion verschiedener Anbieter, die jedoch alle miteinander kommunizierten und sich abgesprochen hatten, damit das Höchstgebot weit unter dem eigentlichen Wert lag.
Der Kerl, der so arrogant von der heiligen Kuh gesprochen hatte, schien offenbar ein Abgesandter der Medien. Aber hatte er leider
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