Das sechste Opfer (German Edition)
eine weitere undichte Stelle im Zaun und floh aus der Gefahrenzone. Das nächste Grundstück, das ich durchquerte, war wesentlich besser gepflegt und deshalb sehr gut einsehbar. Ich beeilte mich, hindurch zu huschen, bevor ich von den großen Fenstern des Hauses aus gesehen werden konnte. Der nächste Zaun war zwar extrem hoch, aber gut zu erklettern, doch dahinter war kein privates Grundstück mehr, sondern eine öffentliche Wiese mit einem Spielplatz. Hier war ich nicht sicher. Doch als hinter mir eine Stimme ertönte, blieb mir nichts anderes übrig, als dahin zu fliehen. »Verschwinden Sie von meinem Grundstück! Oder ich rufe die Polizei!«, rief ein Mann, der schon mit dem Telefon in der Hand am Fenster des Hauses stand, an dem ich gerade vorübergehinkt war.
Also kletterte ich mit meinem verletzten Bein, das zusehends unbeweglicher wurde, mühsam den Zaun nach oben und ließ mich auf der anderen Seite zu Boden fallen. Wieder schoss der Schmerz wie ein Blitz durch meinen Körper und mir wurde schwarz vor Augen. Ich biss die Zähne zusammen und stand wieder auf, um weiter in diese Richtung zu laufen.
Vor mir lag ein Spielplatz mit Kindern, die schaukelten und wippten und im Sand spielten. Auf einer Bank saßen zwei Betreuerinnen und unterhielten sich, wobei die eine immer ein waches Auge auf die Kinder hatte. Die andere dagegen redete unaufhörlich auf ihre Kollegin ein.
Eigentlich wollte ich um die Kinder herumgehen, doch dazu es war zu spät. An der Straße standen die Bodyguards der Sieben Zwerge und warteten auf mich. Sie standen geduldig und bedrohlich wie lose Felsbrocken, die jeden Moment den Abhang herunterrollen können, und musterten mich. Die Hände am Gürtel, in dem ihre Schalldämpferpistolen steckten. Zwei gingen schließlich weiter in die Richtung, in die ich hatte fliehen wollen, die anderen drei blockierten den Weg, der vom Spielplatz zur Straße führte.
Ich stand da und überlegte fieberhaft. Schließlich kam einer der drei langsam auf mich zu. Ich wich zurück, aber den Weg weiter konnte ich nicht einschlagen, denn am anderen Ende erwartete mich das Seeufer mit den falschen Joggern, Vätern und Manuel. Ich saß in der Falle.
Inzwischen hatte mich eines der Kinder entdeckt und rannte auf mich zu. Ich wollte zuerst ausweichen, aber da ich nicht wusste, wohin, blieb ich einfach stehen. Schnell nahm ich meine Dienstmütze ab und legte sie über mein verwundetes Bein, dann strich ich über den zerfetzten Ärmel und lächelte dem Jungen entgegen.
»Bist du ein Polizist?«, fragte mich der Kleine.
»Ja, bin ich. Und du? Gehst du in den Kindergarten?«
»Ja. Ich hab ein Polizeiauto zu Hause.«
»Ein richtiges Polizeiauto? Mit Sirene auf dem Dach?«
»Ja, mit richtiger Sirene.«
Der Junge plapperte noch etwas von seinem tollen Polizeiauto und dass er es viel lieber mochte als das Feuerwehrauto, obwohl das auch eine Sirene besaß und sogar eine ausziehbare Feuerleiter. Währenddessen beobachtete ich, dass die Kerle stehen geblieben waren. Als ich mich jedoch von dem Jungen verabschiedete und abwendete, rückten sie wieder näher.
Bedeutete das, dass ich hier bei den Kindern für den Moment sicher war?
Ich versuchte, ohne Hinken zu den Kindern zu gelangen und ihnen beim Spielen zuzusehen, indem ich mein verletztes Bein hinter dem herausragenden Ast eines Strauches versteckte. Die Betreuerinnen runzelten die Stirn, aber als ich den Jungen mit dem Polizeiauto mit meinem Funkgerät spielen ließ, ihm den Ohrstecker dazu ins Ohr steckte, so dass er aufgeregt hin und her hüpfte, waren sie beruhigt.
Es war ein seltsames Gefühl, von vierjährigen Kindern gerettet zu werden, die keine Ahnung davon hatten, in welcher Gefahr sie sich befanden. Und jetzt, im Nachhinein, fühle ich mich schuldig, dass ich den Kleinen das angetan habe. Aber es war meine einzige Chance, den Kerlen mit den Schalldämpferpistolen zu entkommen. Und so saß ich bei den Kindern im Sand, ließ sie mit dem Funkgerät spielen und erzählte ihnen erfundene Geschichten von gefährlichen Einsätzen, bei denen Katzen gerettet und Kinder befreit worden waren, bis die Erzieherinnen zum Aufbruch mahnten.
Mühsam stand ich auf und hinkte neben den Kindern her, den Jungen mit dem Polizeiauto, der sich gar nicht mehr von mir trennen wollte, an der Hand, und sah aus dem Augenwinkel, wie uns die Kerle in sicherem Abstand folgten. Sonst unternahmen sie nichts.
Ich ging mit der Gruppe bis zu einer kleinen Unterführung, die unter der S-Bahn
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