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Das sechste Opfer (German Edition)

Das sechste Opfer (German Edition)

Titel: Das sechste Opfer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Johannson
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hinsetzen.«
Ich öffnete die Augen und sah den Quälgeist an meiner Seite an. Die Stimme gehörte zu einer Frau um die Sechzig, mit einer kleinen spitzen Nase, die in den Himmel ragte. Sie hatte sauber gelegtes Haar, das mit so viel Haarspray fixiert wurde, dass es sicherlich keiner wagte, in ihrer Nähe eine Zigarette anzuzünden. Ihre Lippen waren grell rosa geschminkt und auf ihren Augenlidern klebte verschmierter blauer Lidschatten.
»Was ist das? Schnaps? Mein Mann war auch Bulle, ich weiß, wie es bei euch so zugeht.«
Sie deutete auf meine linke Seite, und als ich in diese Richtung blickte, wusste ich auch, wovon sie sprach. Unter meinem Bein machte sich eine dicke, dunkle Blutlache breit, die auf dem hässlichen Bezug des Sitzes wie dunkelbrauner Schnaps aussah.
»Oh.« Eigentlich sollte es entschuldigend und munter klingen, aber ich weiß nicht, ob sie es überhaupt hören konnte, denn ich hörte mich selbst kaum noch. »Entschuldigung. Ich steige gleich aus.«
Es fiel mir unheimlich schwer zu sprechen. Die Worte schwirrten wie ein Schwarm Bienen durch meinen Kopf und ließen sich nur sehr schwer einfangen. Und wenn ich tatsächlich das richtige Wort gefunden hatte, so kostete es mich fast übermenschliche Anstrengung, ihm den nötigen Druck aus meinen Lungen zu verleihen, damit es hörbar wurde.
    Ich richtete mich im Sitz auf und wollte aufstehen, doch es ging nicht. Stattdessen beugte ich mich nach vorn und schloss meine Augen und spürte wieder diese wunderbare Leere, die all meine Sorgen hinweg spülte.
Doch dann ruckelte der Zug kam so stark, dass ich gegen die Frau fiel. Sie stieß mir einen Ellbogen in die Seite und murmelte etwas, was wie »betrunkenes Pack, einer wie der andere« klang.
Ich öffnete die Augen und konzentrierte mich mit aller Macht auf mein nächstes Vorhaben. Aufstehen.
Irgendwie schaffte ich es schließlich tatsächlich, meine Muskeln in Gang zu setzen und auf zwei Beinen zu stehen, wobei es in meinen Ohren rauschte und dröhnte, als stünde ich direkt neben einem Wasserfall.
Als sich die Türen öffneten, stakste ich langsam aus der S-Bahn in den Bahnhof und sah mich müde um.
Irgendein Bahnhof im Grunewald. Irgendwo in Berlin. Irgendwo in Deutschland. Irgendwo auf der Welt.
Ich wollte mich nur noch hinlegen und schlafen. Es war mir egal, dass sie mich hier finden würden, entweder die Polizei oder die Schergen der Sieben Zwerge. Es war mir alles egal. Ich wollte nur noch Ruhe. Frieden.
Ich weiß nicht mehr, was in diesem Augenblick meine Lebensgeister noch wach hielt, aber irgendwie schaffte ich es, das Handy herauszuholen und die Nummer des einzigen Menschen zu wählen, der mir helfen konnte.
Anschließend nahm ich mir ein Taxi und fuhr damit zum Rechtsmedizinischen Institut, wo mich Dr. Janosch an einem Seiteneingang erwartete, den Fahrer bezahlte und mich in den Keller führte. Dort erzählte er mir etwas davon, dass ich viel Blut verloren hätte und er nicht wüsste, wie er mir helfen solle. Und dann gab ich endlich auf und ließ mich in die tiefe, dunkle Leere fallen, die mich wie ein schützender Mantel umfing.
    Als ich wieder zu Bewusstsein kam, lag ich in einem kleinen Raum im Keller auf einem harten Stahlbett, das sich in meinen Rücken drückte und an meiner Schulter ins Fleisch schnitt.
Das Licht brannte und blendete mich. Als ich mich aufrichten wollte, rauschte es wieder in meinen Ohren und mir wurde schwarz vor Augen. Aber dieses Mal empfand ich die damit verbundene Leere in meinem Kopf nicht als beruhigend, sondern als bedrohlich. Jetzt bemerkte ich auch den Schlauch in meinem Arm, der zu einem Beutel mit klarer Flüssigkeit führte, der an einem Gestell hing. Ein Tropf.
Ich hob langsam den Kopf und betrachtete den Tisch, auf dem ich lag, und musste trotz meines erschöpften Zustands grinsen, denn es war ein Seziertisch.
Dr. Janosch hatte ein Kissen unter meinen Kopf gelegt, so dass ich nicht auf den stählernen Kanten des Kopfteils liegen musste. Aber sonst unterschied ich mich kaum von einer seiner Leichen. Und wenn mich die Frau in der S-Bahn nicht vertrieben hätte, läge ich wohl jetzt wirklich als Leiche hier. Todesursache: zu Tode gehetzt und verblutet.
Ich sah auf mein Bein, das jetzt ordentlich verbunden war. Das Hosenbein war abgeschnitten und meine Uniformjacke trug ich ebenfalls nicht mehr. Den Kratzer an meinem Arm zierte ein Verband.
Ein Griff in meinen Hosenbund machte mir klar, dass sich auch die Beretta nicht mehr in meinem Besitz befand.
Ich

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