Das sechste Opfer (German Edition)
durchführte, dort mussten sich unsere Wege trennen. Denn als ich hörte, wie wieder eine S-Bahn angerattert kam, hatte ich eine Idee.
Ich ließ die Hand des Jungen los und ließ mich nach ein paar Schritten nach hinten fallen, dann, als die Kinder vorüber waren, huschte ich zu der Unterführung und rannte unter der S-Bahn hindurch.
Natürlich hatte ich sofort die Kerle an meinen Fersen, und als knapp hinter mir der Stein der Mauer von einer Kugel zersplitterte, wusste ich, dass ich lediglich eine einzige Chance hatte, ihnen zu entkommen.
Ich rannte hinter der Unterführung die Böschung zur S-Bahn hoch. Es war mühsam und anstrengend war, da ich mein Bein inzwischen kaum noch spürte und mich so fertig fühlte, dass ich am liebsten zusammengebrochen wäre.
Da hörte ich das Rattern der näher kommenden S-Bahn.
Die Kerle hinter mir hatten inzwischen ebenfalls inzwischen Unterführung durchquert und blickten sich suchend um. Als ich schwerfällig die Böschung erklomm und schwer atmend neben den Gleisen stand, entdeckten sie mich. Einer hob seine Pistole und schoss auf mich, doch ich duckte mich.
Und da kam sie, eine alte S-Bahn.
Wie eine große, rot-gelbe Schlange rollte sie auf mich zu, so dass ich die Erschütterung unter meinen Füßen und den Luftdruck auf meiner Haut spüren konnte. Sie verringerte bereits ihre Geschwindigkeit, da sich in etwa zweihundert Metern Entfernung der Bahnhof befand. Aber dennoch war sie immer noch ziemlich schnell.
Ich durfte jetzt keinen Fehler machen.
Ich stellte mich hinter einen Strommast, um mich vor den Schüssen der Bodyguards zu schützen, und wartete drei endlos lange Sekunden, bis der erste Wagen an mir vorüberzog. Dabei sah ich mir genau die Haltegriffe an den Zugtüren an, an denen ich mich würde festhalten können, und die schmale Stufe vor den Türen, auf die ich mich stellen konnte, und konzentrierte mich darauf, meine nötigen Bewegungen im Voraus genauestens zu berechnen.
Als ich mich noch einmal umdrehte, sah ich, dass einer der Kerle fast die Spitze der Böschung erreicht hatte. Jetzt oder nie.
Ich konzentrierte mich auf die S-Bahn, die mittlerweile bedeutend langsamer fuhr. Im entscheidenden Moment fasste ich nach den Haltegriffen und zog mich mit meinen Armen und dem gesunden Bein nach oben. Durch die Geschwindigkeit des Zuges taumelte ich zur Seite, doch mein rechter Fuß fand das schmale Trittbrett, so dass nur noch mein verletztes Bein nach Halt suchte.
Die Kerle standen inzwischen neben den Schienen und starrten mir hinterher.
Ich atmete auf. Ich hatte es geschafft. Ich war ihnen entkommen.
Von drinnen musterten mich mehrere erstaunte Augenpaare, und ich hoffte, dass keiner der Passagiere mein Fahndungsfoto kannte, und wenn, wenigstens kein Handy dabei hatte. Oder zu faul war, es zu benutzen. Schließlich sahen sie wieder auf ihre Bücher oder konzentrierten sich auf die Musik aus ihren Kopfhörern oder starrten teilnahmslos aus dem Fenster, und ließen mich in Ruhe an der Tür hängen.
Der Zug fuhr für meine Verhältnisse unerträglich lange und wurde immer langsamer, bis er im Bahnhof endlich zum Halten kam. Dort konnte ich schließlich die Tür öffnen und mich ganz normal auf einen der Sitze setzen. Ein Blick aus dem Fenster sagte mir, dass die Kerle den Wettlauf mit dem Zug nicht aufgenommen hatten.
Mein Oberschenkel tat höllisch weh, der Schmerz zog sich inzwischen die ganze linke Seite hoch und kroch in meinen Kopf, wo er mein Denken blockierte und meine Sinne lahm legte.
Den Rest des Beines spürte ich kaum noch, mein Unterschenkel war wie abgestorben.
Als sich die S-Bahn wieder in Bewegung setzte, überlegte ich, was ich nun machen würde. Doch der Schmerz und die sichere Wärme des Zuges umnebelten mich. Meine Augenlider waren wie Blei und drückten nach unten, so dass ich nicht widerstehen konnte. Ich musste meine Augen schließen. Nur für eine Minute.
In meinem Kopf machte sich eine wunderbare Leere breit, die alle Schmerzen und Erinnerungen auslöschte. Es war nur noch warm, dunkel und ruhig in mir.
Doch gerade, als ich mich diesem wunderbaren Gefühl hingeben wollte, stieß mich jemand heftig in die Seite.
»He, junger Mann. Sie machen alles schmutzig hier. Das geht so nicht.«
Ich wusste nicht, was die schrille Stimme meinte und verkroch mich wieder in das wohltuende Nichts in meinem Kopf, doch wieder stieß dieser Jemand in meine Seite.
»Hören Sie? Stehen Sie auf! Sie machen alles schmutzig, andere müssen sich dann wieder hier
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