Das sechste Opfer (German Edition)
bewegte mein Bein und spürte einen dumpfen Schmerz auf der ganzen linken Seite. Nicht mehr ganz so schlimm wie vorhin. Oder war es schon gestern gewesen? Plötzlich wurde mir bewusst, dass ich überhaupt kein Zeitgefühl mehr hatte. War es Tag draußen oder Nacht? Der Blick aus dem winzigen Kellerfenster sagte mir, dass es Nacht sein musste, denn kein Lichtstrahl drang herein, aber diese Zeitansage war ohne Gewähr.
Doch so schlecht ich mich auch fühlte, ich wollte nicht hier liegen bleiben.
Also richtete ich mich ganz langsam auf, bis der Wasserfall in meinem Kopf verschwunden war. Dann entfernte ich die Kanüle aus dem Arm und stand auf.
In meinem Oberschenkel klopfte und pochte es, sobald das Blut darin zu kreisen begann, doch ich ignorierte den Schmerz und wagte ein paar Schritte auf die Tür zu.
Als das ganz gut ging, wurde ich mutiger und wagte mich aus dem Raum. Ich hoffte, dass Dr. Janosch allein arbeitete und sein Assistent inzwischen gefeuert worden oder auf Dienstreise war, denn eine weitere Flucht hätte ich nicht überstanden.
Vorsichtig stieg ich die Treppe hinauf und stand in dem stillen, leeren Flur der Gerichtsmedizin. Ich ging den Gang entlang und lugte durch die Schlüssellöcher der Räume, bis ich Dr. Janosch im Sezierraum 2 erblickte, wo er mit seinem Assistenten eine Leiche auseinandernahm.
Ich wartete, bis der Assistent sich abwendete, um eine Leber auf die Waage zu legen, dann öffnete ich die Tür und flüsterte »Dr. Janosch«, dann machte ich die Tür sofort wieder zu und wartete.
Nur wenige Sekunden später kam er tatsächlich heraus.
«Wieso sind Sie nicht unten geblieben?«
»Ich muss mit Ihnen reden.«
»Ich kann jetzt nicht. Ich bin in etwa einer Stunde bei Ihnen. Und stecken Sie die Kanüle wieder in Ihren Arm. Sie brauchen die Flüssigkeit.«
Er kehrte in den Seziersaal zurück und machte die Tür hinter sich zu. Ich folgte seinem Rat und verkroch mich wieder in den Keller, wo ich mich auf den Tisch setzte und wartete. Nur das mit der Kanüle ließ ich lieber sein.
Nach einer Weile erschien Dr. Janosch in meinem Kellerraum. »Was haben Sie nur gemacht?«, begrüßte er mich ernst und schüttelte den Kopf. »Das war knapp, wissen Sie das? Nur wenige Minuten später, und ich wüsste jetzt das Gewicht Ihres Gehirns und was Sie heute zu Mittag gegessen haben.«
»Danke, dass Sie mir geholfen haben.«
»Kein Problem. Es war zwar ein bisschen schwierig, Blut für Sie aufzutreiben, ohne dass es auffällt, denn in der Rechtsmedizin werden normalerweise keine Blutkonserven benötigt. Nur wenn einer der toten Kerle zum Vampir wird.«
Er schmunzelte, und ich entspannte mich langsam. Ich überlegte, ob ich ihm die ganze Geschichte erzählen oder sie ihm lieber ersparen sollte, denn als Mitwisser war er genauso in Gefahr wie ich. Die würden jeden umbringen, der davon wusste, das war mir klar.
Ich beschloss zu schweigen. Stattdessen erzählte ich ihm nur von der Geheimpolizei, die mich immer noch jagte, weil ich den echten Mörder von Dr. Gruneveld gefunden und zur Rede gestellt hatte.
Dr. Janosch hörte mir aufmerksam zu und fragte mich dann völlig unvermittelt. »Wann waren Sie das letzte Mal zu Hause?«
Ich schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung.« Ich wusste es wirklich nicht. Ich hatte jeglichen Bezug zu Tagen, Wochen, der Zeitrechnung überhaupt verloren. War es vergangene Woche? Könnte sein. Oder die Woche davor? Dazu müsste ich wissen, welcher Tag heute war.
Er sah mich ernst an. »Und wann haben Sie das letzte Mal etwas gegessen?«
Auch das konnte ich ihm nicht so genau beantworten.
Schließlich wandte er sich zur Tür und befahl mir, hier auf ihn zu warten. Als er wenig später wiederkam, hatte er jede Menge Lebensmittel aus der Kantine dabei, die er neben mich auf den Seziertisch legte.
Er sah mir dabei zu, wie ich ein belegtes Brötchen nach dem anderen vertilgte und den Orangensaft dazu trank.
Währenddessen überlegte er mit mir, wie ich aus dem ganzen Schlamassel wieder herauskommen könnte. Als er mir schließlich anbot, den Computer in seinem Büro zu nutzen, sagte ich gerne zu.
Mit den restlichen Lebensmitteln ausgerüstet, hinkte ich neben Dr. Janosch über einen dunklen Treppenaufgang in sein Büro, wo der Computer bereits angeschaltet war.
Es ließ mich an seinem Schreibtisch sitzen, während er wieder hinunterging, um sich der nächsten Leiche zu widmen.
Das World Wide Web ist eine großartige Erfindung. Ich weiß nicht, was ich gemacht hätte, wenn ich in dem Büro
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