Das sechste Opfer (German Edition)
alles Mögliche. Er hat gesagt, dass die Zahlen ihm wohl im Blut liegen. Dann hat er an der Internationalen Elite Uni in Berlin seinen Master in Financial Economics und Economic Theory gemacht. Oh, vorher war er in Hamburg an der Uni und hat VWL und BWL studiert. Er stammt aus Hamburg, wissen Sie?«
Das war mir bereits aus den Artikeln bekannt, weshalb ich ein wissendes Lächeln aufsetzte. Sie berichtete weiter. »Das mit den Masters Degrees weiß ich deshalb so genau, weil ich seinen Lebenslauf geschrieben habe, als er sich für diesen Senior Manager-Posten bewarb.«
»Und nach seiner Ausbildung?«
»Er ging nach New York und hat dort als Trainee in der Manhattan Chase gearbeitet. Das ist eine bedeutende Bank, darauf war er immer sehr stolz. Und die wollten ihn wohl am liebsten behalten, aber er ist zurückgekommen nach Deutschland und zur Berliner Staatsbank gegangen. Erst als Junior Manager, aber vor einem Jahr wurde er Senior Manager.«
»Was hat er da gemacht?«
»Das weiß ich nicht so genau, aber ich glaube, er war für europäische Verbindungen und Abwicklungen zuständig. In der letzten Zeit war er auch viel unterwegs, in Brüssel und Paris und Warschau, überall. Aber was er da genau gemacht hat – keine Ahnung. Da müssen sie in der Bank nachfragen.«
Ich nickte. Das hatte ich auch schon in einem Artikel gelesen. Ich brauchte andere Informationen.
»Wissen Sie, warum an dem bestimmten Abend gefeiert wurde?«
»Mir wurde gesagt, wegen einer Prämie, die alle bekommen haben. Die Bank hat wohl in diesem Quartal einen Riesen-Gewinn gemacht, für den mein Mann verantwortlich war, und deshalb gab´s Sekt.«
Sie wirkte, als würde die Erinnerung sie überwältigen. Ihre Stimme wurde leiser und etwas zittrig. »Ich glaube schon, dass er seine Arbeit gern gemacht hat. Er hat sich nie beklagt.«
Ich verspürte Mitleid mit der Frau, die vom Schicksal wirklich hart getroffen war, und sah mich noch einmal in dem teuren Wohnzimmer um. Wer würde jetzt für das Haus aufkommen?
»Können Sie sich vorstellen, dass er vielleicht Probleme hatte?«
Sie sah mich verständnislos an. »Was meinen Sie?«
»Bei der Bank oder mit Freunden? War bei Ihnen alles in Ordnung?«
»Ja. Was soll das? Ich denke, Sie wollen über seine Arbeit schreiben?«
Sie wirkte plötzlich alles andere als fragil und zart.
»Ja, ja», versuchte ich, sie zu beruhigen. »Ich will nur den ganzen Kerl hinter dem Manager verstehen. Was ihn antrieb, was ihn zurückhielt. Wissen Sie?«
Sie schien beruhigt und schüttelte nachdenklich den Kopf.
»Nein, nicht dass ich wüsste. Er hatte keine Probleme. Unsere Freunde sind genauso geschockt über den Unfall wie ich. Und seine Tochter war sein Sonnenschein, das, was ihn angetrieben hat. Meine Mutter hilft mir gerade und kümmert sich oft um sie, bis ich ...«
Sie schnäuzte sich leise in ein Taschentuch, das sie verstohlen aus einer versteckten Rocktasche gezogen hatte.
›...bis es mir besser geht‹, wollte sie bestimmt sagen, doch es war ihr wohl peinlich.
Ich war mit meinen Fragen am Ende. Ich hätte sie noch eindringlicher zu seinen familiären Verhältnissen aushorchen können, aber ich hatte das Gefühl, dass sie mir darauf nicht antworten würde. Und ich fürchtete, dass es darauf auch keine befriedigende Antwort gab. Es schien alles in Ordnung gewesen zu sein.
Ich holte zur letzten Frage aus und setzte dabei alles auf eine Karte: »Glauben Sie, dass es ein Unfall war?«
Völlig perplex starrte sie mich an. »Ja! Wieso nicht? Was soll diese Frage? Wer sind Sie?«
Ich holte noch einmal meinen Presseausweis heraus und zeigte ihn ihr.
»Ich schreibe wirklich für den Financial Report, ich möchte nur wissen, ob nicht doch mehr dahinter steckt. Ob die Bank vielleicht in Schwierigkeiten steckte.«
»Nein! Und wenn, dann nicht wegen meines Mannes.«
»Das behaupte ich auch nicht, Frau Werner. Wirklich nicht.«
Sie stand auf, das Zeichen für mich zu gehen. Ich erhob mich ebenfalls.
Sie schlurfte zurück zur Tür, ich folgte ihr, doch auf einmal blieb sie stehen und drehte sich zu mir um.
»Haben Sie einen Verdacht, dass die Bank in Schwierigkeiten war?«
»Nein, nichts Konkretes.«
Ihre Stimme wurde wieder leiser. Sie zögerte.
Ich wartete geduldig, bis sie schließlich antwortete.
»Ich weiß nicht, aber ich hatte schon das Gefühl, dass ihn in letzter Zeit etwas bedrückte.«
»Tatsächlich?« Nach all diesen belanglosen Bestätigungen, dass alles in Ordnung war, kam mir diese Information wie ein
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