Das sechste Opfer (German Edition)
ich eine Klingel neben der Tür.
Kurz nach meinem Läuten ertönte eine blecherne Stimme und fragte nach meinem Begehr. Ich erklärte, dass ich mit Frau Heitmann verabredet sei. Der Blechmann hinter der Tür befahl mir zu warten. Ein paar Augenblicke später klirrte er wieder durch den kleinen Lautsprecher und gestattete mir, in die Nebenstraße zu einem bestimmten Hauseingang zu gehen. Ich folgte seinen Anweisungen und gelangte an eine Tür, an deren Schildern unter anderem in sehr kleinen Buchstaben »Berliner Staatsbank« stand. Ich sah nach oben. Es war tatsächlich dasselbe Gebäude, obwohl es von unten wie in einem anderem Stadtteil wirkte. Die Friedrichsstraße war belebt und lärmend, neu und schick, aber diese Straße hier wirkte, als wäre der Krieg das Letzte, was sie erlebt hatte. Die Häuser waren dunkel und schienen unbewohnt, auf dem Bürgersteig lagen alte Zeitungen und Müllreste, die ich lieber nicht näher betrachten wollte, und auf der Straße befand sich statt Asphalt oder Teer Kopfsteinpflaster gemischt mit Betonplatten und von Schlaglöchern durchzogen.
Ich klingelte, bis ein Summer die Tür öffnete. Als ich eintrat, ging ich zum Pförtner in einem winzigen Kabuff und erzählte ihm, zu wem ich wollte, doch er schien schon Bescheid zu wissen. Wahrscheinlich war er der Mann mit der Blechstimme. Er erklärte mir kurz, in welchen Stock ich musste und winkte mich durch zu einer weiteren Tür, die er ebenfalls mit einem Summer öffnete.
So hatte ich mir eine Bank vorgestellt. Ich lief über knöcheltiefen, weichen Teppich zum nächsten Fahrstuhl und drückte auf den Knopf für den neunten Stock, wo Beate Heitmann arbeitete.
Als ich wenige Minuten später klopfte, stand sie an einem Aktenregal und heftete ein paar Blätter ab.
»Guten Tag. Frau Heitmann?«
Sie sah auf und nickte freundlich. Sie war jung, vielleicht Mitte Zwanzig, und wirkte gepflegt und kontrolliert. Sie trug ein dunkles Kostüm, darunter eine helle Bluse. Die klassische Banken-Garderobe. Ihre Haare waren glatt, dunkelbraun und kinnlang. Ich hätte sie hübsch nennen können, wenn mich ihre Erscheinung und die langweilige Garderobe nicht an eine vertrocknete Bibliothekarin erinnert hätte, was ich extrem abschreckend fand. Doch als sie mich anlächelte, verschwand dieses Bild wieder. Sie war wirklich sehr hübsch.
»Sie sind Herr Mustermann?«
»Ja, ich hatte angerufen.«
»Das war gut, ich wäre sonst jetzt schon weg gewesen. Sie wollen etwas über Herrn Werner wissen?«
Sie ging zu ihrem Schreibtisch und nahm eine Handtasche vom Boden auf.
»Macht es Ihnen etwas aus, mit mir während des Gespräches unten einen Kaffee zu trinken? Hier wird gleich abgeschlossen.«
Wir gingen durch die ruhigen, Teppich gedämpften Flure des Gebäudes, fuhren mit einem eindrucksvollen goldenen Fahrstuhl hinunter und landeten schließlich im Foyer des Gebäudes, dort, wo sich normalerweise die Kunden aufhielten. Sie führte mich sicher durch einen Urwald von Schreibtischen und Rechenmaschinen, an denen noch ein paar Mitarbeiter ihren Platz aufräumten, und ging dann mit mir einen winzigen Seitenausgang hinaus, den man von außen gar nicht wahrnehmen konnte. Er wirkte harmlos, aber ich war mir sicher, dass der überwacht und gesichert war wie Fort Knox.
Schließlich standen wir wieder auf der Friedrichstraße und gingen zu Starbucks, das sich direkt neben der Bank befand. Sie bestellte einen Latte Macchiato Karamell und ich orderte einen Vanille-Creme-Cappuccino. Ich zahlte für beide, bevor wir uns an einen Tisch am Fenster setzten und ein paar Sekunden lang beobachteten, wie die Leute an uns vorübergingen. Manche eilten mit Einkaufstaschen vorbei, andere blieben mit Rucksäcken und Stadtplan unsicher stehen und drehten sich in alle Himmelsrichtungen, in der Hoffnung, den richtigen Weg wiederzufinden. Dazwischen bummelten ein paar Pärchen Hand in Hand, oder ein Geschäftsmann schritt mit seinem Laptop in der Tasche zum nächsten Termin.
Die Stadt war voll, und hier war genau der richtige Ort, um sich darüber zu freuen, dass man ruhig am Stadtrand lebte und diese Hektik und den Lärm nur hatte, wenn man sich danach sehnte.
Beate Heitmann sah mich jetzt mit großen Augen an. Sie waren etwas dunkler als ihr Haar und extrem rund.
»Was wollen Sie wissen?«
Ich nippte an meinem Cappuccino und überlegte, wie ich am besten anfing, um eine Katastrophe wie mit Frau Werner zu vermeiden.
»Ich schreibe einen Artikel über Ihren ehemaligen Boss und brauche
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