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Das sechste Opfer (German Edition)

Das sechste Opfer (German Edition)

Titel: Das sechste Opfer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Johannson
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sei, dann legten wir beide auf. Das war’s, bis ich mich an seinem Geburtstag im September wieder melden würde und er sich an meinem im November. Dann telefonierte ich zu Weihnachten mit ihm und er mit mir vielleicht zu Silvester. Aber meistens dachte ich erst irgendwann im Januar wieder dran und rief ihn an, aber er schien nie böse darüber zu sein.
Wir hatten kein besonders inniges Verhältnis, noch nie gehabt. Als meine Mutter uns verließ, war ich vier, und er zog mich ein paar Jahre alleine auf, bis er wieder heiratete und mit seiner zweiten Frau Sabine drei weitere Kinder zeugte. Diese Kinder waren ihm wesentlich ähnlicher, bodenständig und das einfache Leben liebend, während ich nach meiner Mutter schlug und jede Menge Flausen im Kopf hatte. Sie war aus Münster fortgegangen, weil sie die Enge und Bürgerlichkeit dort nicht ertragen konnte, und nach Spanien abgehauen. Sie hatte mal Kunst studiert, war aber wegen meines Vaters und mir nach Münster gezogen, in die Bäckerei, wo sie es genau fünf Jahre aushielt. Dann war sie weg. Und mit ihr der Sonnenschein und das Lachen. Mein Vater, eher ein ruhiger, nicht gerade redseliger Mann, der sich damals am liebsten in seinem Laden aufhielt, war damit zufrieden, wenn die Brötchen schmeckten und die Torten im Sommer nicht den Wespen zum Opfer fielen. Doch nachdem sie weg war, redete er gar nicht mehr. Schweigsam lebten wir nebeneinander her, bis Sabine und die drei Kinder wenigstens etwas Leben ins Haus brachten.
    Meine Halbgeschwister waren inzwischen auch längst aus dem Haus: Jens hatte als Mechaniker einen guten Posten bei A.T.U. irgendwo in Köln, Katrin arbeitete für den Staat beim Finanzamt und Georg lebte mit seiner Frau und den beiden Kindern von Sozialhilfe, weil die Schreinerei, in der er gearbeitet hatte, leider insolvent wurde.
In irgendeiner meiner Schubladen schlummerte noch ein Bild aus alten Tagen Ein kindlicher, schiefer und verwackelter Schnappschuss aus der Zeit, als meine Mutter noch bei uns war, und den ich mit einer Kamera aufgenommen hatte, die mir eine Tante geschenkt hatte, aber ich wusste nicht mehr, wo er lag.
    Diese Woche hatte ich frei. Wie jedes Jahr verzichtete der Financial Report in der Woche nach Ostern auf meine Ausführungen. Da füllte den Platz auf Seite 6 das Interview eines Konzernchefs wie James McNerney von Boing oder Thomas Middelhoff von Karstadt-Quelle. Ein Ausgleich für die doppelte Arbeit in den Wochen davor.
Mir war es dieses Mal besonders recht, denn nun konnte ich mich den Recherchen für mein Buch widmen. Und das erste, was ich am nächsten Tag erledigen würde, war ein Vorhaben, das ich nur ungern in Angriff nahm. Ich wollte die Witwe von Andreas Werner über ihren Ehemann ausfragen.
    Sie lebte in einem hübschen Einfamilienhaus am Rande von Berlin. Die Gegend entsprach nicht so ganz meinem Geschmack, weil sich hier ein feines, schickes Haus an das andere reihte, zwischendurch gab es Spielplätze und Parkanlagen, doch es waren Häuser der gehobenen Art. In jedem Vorgarten schien der Rasen einer genormten Länge zu entsprechen, und selbst die Blumen und Pflanzen waren exotisch und sehr teuer.
Das Haus der Werners hatte weder Zaun noch Tor, man gelangte direkt von der stillen Straße auf einem gepflasterten Gartenpfad zwischen Magnoliensträuchern und Edelrosen zur Eingangstür.
Noch während ich mir überlegte, ob das nicht ein bisschen zu leichtsinnig für einen Bankmanager war, betrachtete ich das Haus. Es musste mindestens vier Zimmer in jedem Stockwerk haben, schätzte ich. Jeweils 160 Quadratmeter Grundfläche vielleicht, oben etwas weniger wegen einer Schräge an der Seite. Das Gebäude war in einem zarten Gelb gestrichen, das in der Frühlingssonne strahlte. Im Erdgeschoss führte ein riesiges, getöntes Fenster in den vorderen Teil des Gartens hinaus. Ein Fensterflügel stand halb offen und gab den Blick auf Parkettboden und Leder-Couchgarnitur frei.
An der Südseite des Hauses befand sich eine Art Wintergarten.
Als ich einen Blick in den hinteren Teil des Gartens warf, sah ich eine Schaukel, die verwaist an einer stählernen Vorrichtung hing, und eine Hollywoodschaukel, noch eingepackt und unbenutzt.
An der Tür gab es weder Namensschild noch Klingel.
Ich verglich sicherheitshalber noch einmal die Adresse mit der in meinen Unterlagen, dann klopfte ich.
Niemand antwortete.
Ich klopfte erneut, und dieses Mal hörte ich eine Frauenstimme von drinnen.
»Was wollen Sie?«
Ich hatte mir natürlich einen

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