Das sechste Opfer (German Edition)
schien. Doch auch hier sprang mir der Verfall sofort in die Augen. An der Garderobe waren zwei Haken weggebrochen, eine der Holztüren war voller Kratzer.
Sie führte mich in das Wohnzimmer, das in hellem Gelb gehalten war. Auf der geblümten, großen Couch mitten im Raum lag eine Katze und öffnete müde die Augen, als ich eintrat.
An der linken Wand stand eine riesige Schrankwand mit einem neuen HD-Flatscreen-Fernseher, auf der anderen Seite befand sich eine Musikanlage, die wie der Fernseher auf dem neuesten Stand schien.
»Setzen Sie sich doch. Wollen Sie was trinken?«
»Danke, gern. Einen Kaffee?«
»Mach ich.«
Sie ging hinaus, während ich mich auf die Couch neben die schlafende Katze setzte und glaubte, noch etwas Zeit zu haben, meine Gedanken zu ordnen und mir das Wohnzimmer anzusehen. Doch nach einem halben Gedanken, die müde Katze und ihre zahllosen Haare auf der Couch betreffend, kam die Frau schon wieder und setzte sich auf den Sessel gegenüber der Couch.
»Die Kaffeemaschine ist angestellt. Ich bereite immer schon alles vor für meinen Mann, wenn der dann mittags aus dem Laden kommt, wissen Sie. Damit es schneller geht dann. Also, was wollen Sie wissen?«
»Es geht um Ihren Ex-Mann, genauer gesagt, Herrn Zappis. Ich schreibe einen Artikel über interessante Männer, die jeden Tag mit Zahlen jonglieren und dabei mit solch unglaublich hohen Beträgen zu tun haben. Ich denke, dass das meine Leser interessiert. Er war doch Buchhalter bei PROSAT, dem größten Fernsehsender Berlins.«
Sie sah mich an, als hätte ich ihr gerade erzählt, ich hätte Superwoman geschwängert.
»Wollen Sie mich verarschen?«
»Nein!»
»Einen Artikel über meinen Ex-Mann als Buchhalter, dass ich nicht lache! Es geht um seinen Tod, geben Sie´s doch zu. Dass das kein Unfall war. Stimmt's?«
Jetzt sah ich sie wahrscheinlich an, als hätte sie mir erzählt, sie hätte Superwoman geschwängert.
»Naja, eigentlich nicht, aber wenn Sie schon darauf zu sprechen kommen. Ja, das würde mich auch interessieren:»
»Und wieso interessiert sich der Financial Report dafür?«
»Ich bin, ehrlich gesagt, selbstständig und schreibe noch an anderen Sachen. Dabei recherchiere ich auch über den Tod Ihres Mannes.«
»Was soll's denn werden? ›Das Tagebuch eines Versagers‹? Das wäre doch mal was. Das traurige Tagebuch des geborenen Verlierers von der Geburt bis zu seinem jämmerlichen Selbstmord.«
»Selbstmord? Er hat sich umgebracht???« Wieder war ich völlig perplex.
»Ja, weil ich mich scheiden ließ, das hat er nicht verkraftet und sich vor die U-Bahn geworfen. Das war so typisch. Problemen immer aus dem Weg gehen, nur keine Risiken eingehen. Mein neuer Mann ist da zum Glück ganz anders. Der riskiert was und geht mir auch schon mal an die Wäsche, wenn Sie verstehen, was ich meine. Aber Uwe Zappis nie. Nie. Das hab ich immer gehasst an ihm, aber er wollte sich nicht ändern. Und als ich Falko kennen gelernt habe, war es eben vorbei mit der Liebe. Und mit der Ehe. Ich wollte die Scheidung. Das war vor drei Jahren, glaube ich. Und als die Scheidung dann durch war, da hat er sich umgebracht.«
»Aber im Polizeibericht steht, es war ein Unfall!«
»Ja, das ist die offizielle Version. Die wollten nicht, dass noch ein Selbstmord die Statistiken fälscht. PROSAT hat mir sogar Schmerzensgeld oder Entschädigung oder was auch immer angeboten, wenn ich einwillige, dass es offiziell ein Unfall war. Die wollten nicht, dass bekannt wird, dass jemand aus ihrem Laden keinen Bock mehr auf ihr tolles Gehalt und die super Arbeitsbedingungen hat. Mir war's egal, ob sie's als Unfall oder Selbstmord abtun. Ich hab das Geld genommen und mit Falko eine Kreuzfahrt gemacht. Es kamen danach noch ein paar Leute und auch Reporter, die haben mich gefragt, was passiert ist, aber ich habe ihnen immer gesagt, was ich Ihnen jetzt sage. Ich habe nichts zu verbergen.«
»Aber Sie haben doch eingewilligt, dass es als Unfall gilt. Bekommen Sie da keine Schwierigkeiten?«
»Nein, die waren zufrieden. Kräht kein Hahn mehr danach. Ist ja auch schon drei Jahre her.«
»Hat er einen Abschiedsbrief hinterlassen?«
»Er hat mich an dem Abend noch angerufen, dass er mit mir sprechen müsse, aber ich wollte nicht. Ich hab ihn ziemlich runtergeputzt deswegen, was er sich einbildet, ob er glaubt, dass ich es mir noch mal anders überlege und all so was. Das hat ihn wohl ziemlich fertig gemacht. Da gab's bestimmt eine Kurzschlussreaktion. Er hüpft vor die U-Bahn und Schluss mit
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