Das sechste Opfer (German Edition)
machen und sah Moritz ratlos an.
»Was soll das bedeuten?«
Er zuckte nur mit den Schultern. »Hab ich noch nie gesehen vorher. Von Mercedes stammt das nicht, das wüsste ich.«
»Darf ich das mitnehmen?«
Er zögerte, doch dann schüttelte er energisch der Kopf. »Nein, ich will keinen Ärger kriegen.«
Er nahm mir die Klappe aus der Hand. »Das geht nicht.«
Als draußen eine Hupe ertönte, legte sie wieder unter die Decken.
»Das war's, Kumpel. Mehr hab ich nicht.«
Er machte mir mit seiner Körperhaltung unmissverständlich klar, dass ich jetzt gehen sollte, was ich auch tat. Denn nun hatte ich kein Geld mehr, um ihm die Klappe abzukaufen.
Ich ging zu meinem Auto und setzte mich hinein. Ich holte einen Stift und einen alten Strafzettel aus dem Handschuhfach meines Wagens und zeichnete das Zeichen von der Klappe des Mercedes auf das Papier. Dann wartete ich noch fünf Minuten, doch als Franz noch immer nicht aufgetaucht war, fuhr ich nach Hause.
Wasserpfeifen lügen nicht
Den ganzen Sonntag über ließ mich das Zeichen nicht los. Ich hatte keine Ahnung, was es bedeutete. Ich schlug in diversen Lexika nach und recherchierte im Internet, aber ich fand nichts, was es nur ansatzweise erklären könnte. Ich fragte sogar Nicole, wobei ich ihr erzählte, dass ich bei Recherchen darauf gestoßen sei und mir keinen Reim drauf machen könne, doch auch sie war ratlos.
Franz meldete sich den ganzen Tag nicht. Ich schrieb es inzwischen seiner Wochenendübelkeit zu. Wahrscheinlich war er gestern noch etwas trinken gewesen, hatte Telefon, Handy und Klingel ausgestellt, um nun seinen Kater auszuschlafen. Wäre nicht das erste Mal gewesen.
Irgendwann legte ich das Zeichen zur Seite und widmete mich ganz meiner Frau. Wir machten genau das, was sie sich vorgenommen hatte: einen langen Spaziergang, essen gehen, Museum besuchen. Und hinterher gingen wir sogar noch ins Kino, wo sie die ganze Zeit meine Hand hielt und ich eine Jumbo-Tüte Popcorn verschlang.
Am nächsten Tag brachte ich Nicole zur Arbeit. Nachdem wir uns verabschiedet hatten, fuhr ich jedoch nicht in die Redaktion des Tagesspiegels, wie ich ihr erzählt hatte, sondern zur Zahnarztpraxis Dr. Engel, um mit Schwester Agnes zu sprechen.
Ich muss gestehen, dass das merkwürdige Zeichen in Andreas Werners Handschuhfach mich völlig in seinen Bann gezogen hatte. Irgendetwas war ganz seltsam daran, und es machte mich fertig, dass ich im Unklaren blieb, was es war. Aber eines schien sicher: Das Zeichen war nicht von ungefähr dort eingeritzt worden. Inzwischen war ich fast davon überzeugt, dass an Franz' Vermutungen und Spekulationen wegen der Pathologen und des Staatsanwalts etwas dran war.
Drei Minuten nach acht stand ich vor dem Tresen in Dr. Engels Praxis und atmete die desinfizierte Luft ein. Agnes war gerade damit beschäftigt, das Buch mit den Terminen für heute aufzuschlagen und den Anrufbeantworter abzuhören, so dass ich mich gedulden musste. Als das erledigt war, wandte sie mir ihr hageres Gesicht zu. Sie war vielleicht Ende Fünfzig, sah so dünn und lederig aus wie eine Kettenraucherin, hatte extrem lange Fingernägel, die weiß lackiert waren, und trug, soweit ich das sehen konnte, unter ihrem Kittel lediglich eine Strumpfhose. Mit ihren Händen strich sie über das Holz des Tresens, während sie mit gespitzten Lippen anhörte, was ich über Noah Degenhardt wissen wollte.
Sie überlegte kurz und ließ dabei ihren Blick durch die Luft schweifen. »Degenhardt war der gutaussehende Anwalt aus dem dritten Stock. Ungefähr einsachtzig, dunkle Haare, dunkle Augen, nettes Lächeln, hat einen immer höflich gegrüßt. Hatte ein paar unangenehme Klienten, schleimig und unfreundlich, aber dafür kann er ja nichts. Über seine Arbeit kann ich nichts weiter sagen, ich hatte nie Ärger mit dem Gesetz. Seine Frau hab ich einmal gesehen, auch sehr hübsch. Sie war gerade erst mit hergezogen, bevor es passiert ist. Seine Eltern hab ich nie gesehen, aber ich glaube, er stammt aus Brandenburg. Er hat nämlich mal erzählt, dass er Milch aus heimischen Landen kauft, und es war die Marke Mark Brandenburg. Er trinkt übrigens Vollmilch, nicht fettarm. Das war's. Mehr weiß ich nicht.«
Das war zwar sehr interessant und gut beobachtet, vor allem die Information über seinen Milchkonsum, Schwester Agnes würde bestimmt eine fantastische Zeugin abgeben, aber etwas für mich wirklich Interessantes war nicht dabei.
»Sie wissen nicht, wo die Frau jetzt lebt?«
»Nein.«
»Und aus
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