Das sechste Opfer (German Edition)
ändern. Was wollen Sie noch wissen?«
»Wissen Sie, ob er etwas mit einem Andreas Werner zu tun hatte? Oder einem Uwe Zappis?«
Sie überlegte kurz, doch dann schüttelte sie den Kopf. Die Namen sagten ihr nichts. Einer Eingebung folgend holte ich das Zeichen von Werners Handschuhfach aus meiner Brieftasche und zeigte es ihr.
»Haben Sie das schon mal gesehen?«
Sie betrachtete es mit zusammengekniffenen Augen und schüttelte wieder den Kopf.
»Nein. Was bedeutet es?«
»Keine Ahnung. Ich dachte vielleicht, dass es Ihnen bekannt vorkommt.«
Ich steckte das Blatt Papier zurück. »Kennen Sie sonst noch jemanden, der näher mit ihm zu tun hatte, gerade in der letzten Zeit?«
»Hm, vielleicht seine Sekretärin. Sie war nicht regelmäßig da, sie hatte nur eine halbe Stelle, aber die weiß bestimmt mehr über seine Arbeit.«
»Sie wissen nicht zufällig ihren Namen?«
»Doch, Isabel, seine Frau, hatte ihn mal scherzhaft erwähnt, als es um eine angebliche Affäre von Noah ging. Sie heißt Monika Fiderer.«
»Und? Hatte er eine Affäre mit ihr?«
Frau Degenhardt lachte auf. »Nein. Hatte er nicht. Diese Monika war ganz bestimmt nicht sein Typ.«
Ich dankte der Frau und verließ die Wohnung.
Jetzt hieß es, zurück nach Berlin zu fahren und Monika Fiderer zu finden. Oder erst Franz in der Redaktion anzurufen, damit er die Suche für mich erledigen konnte.
Doch mein Anruf in der Redaktion ergab nichts. Ich erfuhr nur von seinem Kollegen, dass Franz heute nicht aufgetaucht war. Langsam begann ich mich doch über meinen Freund zu wundern. So lange hielt ein Kater bestimmt nicht an. Nicht einmal bei Franz.
Ich ließ den Motor an und fuhr zurück nach Berlin.
Die Statistiken, die ich immer so sorgsam in meinen Artikeln verwendete, vermeldeten für das vergangene Jahr, dass die Zahl der Firmenpleiten um mehr als vier Prozent gesunken sei, aber als ich die Bundesstraße Richtung Osten fuhr, kamen mir Zweifel an der Richtigkeit dieser Aussage. Mir fielen unglaublich viele Läden, Geschäfte und kleine Betriebe auf, die geschlossen waren und so aussahen, als würde sie das gleiche Schicksal treffen, das die ehemaligen Volkseigenen Betriebe in der Nähe meiner Wohnung ereilt hatte. Die Fassaden waren grau, die Schrift abgeblättert und unleserlich. Vor den Eingängen wucherte das Unkraut, die leeren Fenster wirkten wie blinde, seelenlose Augen. Stattdessen standen auf ehemals blühenden Wiesen unpersönliche Hallen, in denen man am billigsten und bequemsten einkaufen konnte, was auch immer das Herz begehrte, wie die Werbung lauthals verkündete. Riesige Flächen dienten als Parkplätze, allein in der Unterstellmöglichkeit für die Einkaufswagen hätte ein Eisenbahnwaggon mühelos Platz gefunden. Jedes Nest hatte einen solchen monströsen Supermarkt – keine Schule, keinen Schuhmacher, aber einen Supermarkt.
In den Ortschaften standen an der Straße vor einzelnen Gartentoren Kisten und Eimer, in denen Blumen, Eier oder Kohlrabi angeboten wurden, doch der Rest schien tot. Wer kaufte noch in den kleinen Läden, wenn er alles im großen Discounter vor den Toren des Ortes finden konnte, wo es ein paar Cent billiger und die Auswahl größer war. Wo man Fleisch direkt neben dem Gemüse finden konnte und eine Stereoanlage als Superschnäppchen mit dazubekam. Keinen zog es mehr in das kleine Geschäft nebenan, wo es etwas teurer war, aber wo man sicher sein konnte, dass der Metzger dem Kalb noch beim Trinken bei Mama zugesehen hatte, bevor er es unters Messer legte. Wo man unter dem Ladentisch eine extra feine und reife Paprika bekam oder der Chef für seine Lieblingskunden auch mal ungewöhnliche Bestellungen entgegennahm. All das war verschwunden.
Es ist nicht so, dass ich ein Freund dieser Tante-Emma-Läden wäre, auch ich gehe gerne dahin, wo es billiger ist und man alles unter einem Dach bekommt, aber als ich durch die kleinen Ortschaften fuhr, lief mir ein Schauer über den Rücken. Ein Ort sah aus wie der andere. vielleicht sollte man sie einfach umbenennen in Aldi-Dorf, Netto-Dorf oder Lidl-Dorf, je nachdem. Da wüsste jeder sofort Bescheid.
Wieder in Berlin rief ich die Auskunft an, um die Adresse und Telefonnummer von Monika Fiderer ausfindig zu machen. Glücklicherweise hieß sie nicht Schulze oder Berger, dann hätte ich einer Menge Arbeit ins Auge geblickt, aber eine M. und R. Fiderer gab es nur einmal. Ich rief an und hatte sofort die richtige Person am Hörer. Meine Glückssträhne war offenbar noch nicht vorüber, denn
Weitere Kostenlose Bücher