Das sechste Opfer (German Edition)
welcher Stadt in Brandenburg er stammt?«
»Was heißt hier: Aus welcher Stadt in Brandenburg? Er kommt aus der Stadt Brandenburg. Verstehen Sie? Ist ein paar Kilometer von hier.«
»Oh, kenne ich.«
Das war ein Hinweis, mit dem ich was anfangen konnte.
Sie widmete sich wieder dem Terminbuch. «Ich muss jetzt noch ein bisschen arbeiten, entschuldigen Sie.«
Ich dankte ihr, löste mich vom Tresen und verließ die Praxis.
In Brandenburg tickten die Uhren anders. Nur fünfzig Kilometer westlich von Berlin lag die Stadt an der Havel und träumte vor sich hin. Es führte die B1 daran vorbei, und auch der ICE streifte den Südwesten der Stadt, aber das war's auch schon. Auf mich wirkte Brandenburg ruhig, etwas verfallen und fast schläfrig an diesem Montagmorgen.
In der Stadt angekommen fuhr ich sofort in die Meisenstraße 17. Das war die Adresse, die mir die Maschinenstimme der Auskunft ins Ohr geplärrt hatte, als ich nach Adresse und Anschrift von Degenhardt fragte. Hier befand ich mich nun in einer kleinen Straße mit alten, aber renovierten schmucken Einfamilienhäusern und Doppelhaushälften. Die Nummer 17 war ein etwas neuerer Bau, mit künstlich drangesetzten Balkonen in dem Einheitsbaustil, der kurz nach der Wende sehr angesagt war.
Ich parkte vor dem Haus und ging zur Tür. Auf den Klingelschildern stand auch tatsächlich Degenhardt, B. Degenhardt. Ich klingelte.
Es dauerte ein paar Augenblicke, bis sich die Tür durch einen Summer öffnete. Ich ging hinein und lief ein paar Stufen hinauf. Schließlich stand ich im ersten Stock vor einer angelehnten Tür. Ich klopfte.
»Kommen sie herein«, ertönte eine Frauenstimme von drinnen. Ich trat ein.
»Frau Degenhardt?«
»Ja, ich komme.«
Sekunden später erschien Birgit Degenhardt tatsächlich und reichte mir ihre Hand. Sie war Ende Fünfzig, hatte helle, aufmerksame Augen und ein fröhliches, sympathisches Gesicht. Sie trug einen eleganten, braunen Hosenanzug und eine weiße Bluse darunter. An den Füßen hatte sie Pantoffeln.
Ich nahm ihre Hand und schüttelte sie leicht. Ihr Griff war fest und Vertrauen einflößend.
»Bitte kommen Sie doch rein. Sie sind Herr Mustermann?«
»Ja. Ich hatte vorhin angerufen, tut mir leid, dass ich Sie stören muss.«
»Sie haben Glück, dass Sie mich noch antreffen, ich habe heute Spätschicht. Was wollen Sie denn über meinen Neffen wissen?«
Wir setzten uns in ein helles gemütliches Wohnzimmer, das von einer eleganten Couchgarnitur dominiert wurde. Die Fenster waren groß und ließen viel Sonne hinein. An der Seite stand eine altmodische Schrankwand, auf der anderen Seite ein Klavier. Eine Fuge von Bach lag aufgeschlagen auf dem Notenständer.
»Ich möchte nur etwas über die Umstände seines Todes erfahren, ob der Täter ermittelt wurde, ob Sie vermuten, dass da vielleicht etwas anderes dahintersteckt. Ob er vielleicht Feinde hatte oder irgendeinen merkwürdigen oder verdächtigen Klienten.«
»Okay, der Reihe nach. Der Täter wurde nie gefasst, er soll Pole gewesen sein und jetzt irgendwo im Riesengebirge Menschen schmuggeln. Hat man mir gesagt.«
»Bezweifeln Sie das?«
»Nein, warum sollte ich. Menschen sind zu allem in der Lage, das wissen Sie doch auch. Ich bin Krankenschwester, ich sehe tagtäglich, was auf den Straßen passiert. Zum nächsten Punkt. Es würde mich nicht wundern, wenn da etwas Ernsteres dahinterstecken würde, er hat seine Nase immer zu tief in alle Angelegenheiten gesteckt. Auch in die, die ihn nichts angingen. Ja, er hatte merkwürdige Klienten, aber das weiß ich nur aus seinen Erzählungen. Aber ob er gerade in der Zeit vor seinem Tod viel Ärger hatte, kann ich Ihnen nicht sagen, da hab ich ihn nämlich kaum gesehen. Er hatte viel zu tun. Zu viel, meiner Meinung nach. Seine Frau war auch nicht glücklich darüber, aber so war er eben. Er ließ sich nicht abhalten. Natürlich kann es auch sein, dass er Feinde hatte, aber da müsste ich spekulieren.« Sie sah mich bedauernd an.
»Wo ist seine Frau?«
»Sie ist ins Ausland gegangen. Südamerika, glaube ich. Ich bekomme zu Ostern und zu Weihnachten eine Karte von ihr und zum Geburtstag eine E-Mail, meistens nur mit ein paar Worte drauf oder nur ihre Unterschrift. Degenhardts Tod hat sie wirklich extrem hart getroffen. Das arme Ding.«
»Hatten sie Kinder?«
»Nein. leider nicht. So wird der Name Degenhardt in dieser Gegend aussterben, ich habe keine Kinder, und Noah war der einzige Sohn meines Bruders.«
»Das tut mir leid.«
»Lässt sich nicht
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