Das sechste Opfer (German Edition)
Was ist los?«
Er sah mich mit einem Gesichtsausdruck an, als hätte er auf eine Zitrone gebissen. Dann wurde er nachdenklich.
»Es könnte sein, dass wir noch Blut von ihm haben. Ich hatte ihm welches abgenommen, um es vorsichtshalber in die Toxikologie zu bringen, aber der Staatsanwalt meinte, dass das unnötig sei, wir sollten sparen, wenn es angebracht sei. Es liegt wahrscheinlich noch im Kühlschrank, wenn mein Assistent es nicht schon entsorgt hat.«
»Wo ist der Kühlschrank?«
»Im Keller.«
»Und dort wartet kein Sicherheitsdienst auf mich?«
Er sah mich an und schüttelte den Kopf. »Nein, leider nicht. Sie könnten aber trotzdem das Ding wieder wegstecken.«
Ich nahm die Waffe von seinem Gesicht weg, behielt sie aber in der Hand und ging mit Dr. Janosch eine breite Treppe hinunter in den Keller. Dort schaltete er das Licht an und führte mich in einen Raum, wo mehrere riesige Kühlschränke und andere Schränke standen, in der Mitte des Raumes befand sich ein großer Arbeitstisch.
Zielsicher ging er auf einen der Kühlschränke zu und öffnete ihn. Unzählige Röhrchen mit Flüssigkeiten befanden sich darin, Blut und Blutplasma.
Er beugte sich nach vorn und suchte nach einem bestimmten Röhrchen. Es schien eine halbe Ewigkeit zu dauern, bis er es endlich fand.
»Hier ist es tatsächlich.« Er hielt ein Röhrchen mit Blut in die Höhe. Auf dem Schild, das am Röhrchen klebte, stand Franz' Name, der Tag, an dem er eingeliefert wurde und eine Nummer.
Das war alles, was noch von ihm übrig war. Ich schluckte den Anflug von Melancholie hinunter und sah Dr. Janosch an.
»Und nun?«
»Ich lasse eine Analyse machen. Sind Sie damit zufrieden?«
Ich nickte. »Dann mal los.«
Er ging zu einem kleinen Tischchen in der Ecke und drehte mir den Rücken zu. Vielleicht kam jetzt doch noch alles in Ordnung.
Ich wollte mich gerade entspannt auf den Tisch in der Mitte setzen, als ich ein vertrautes Klicken hörte. Dr. Janosch drehte mir noch immer den Rücken zu, doch ich wusste, was er vor sich hatte: ein Telefon.
Sofort sprang ich auf und lief die drei Schritte zu ihm, riss ihn herum und nahm ihm das Telefon aus der Hand.
Er zuckte erschrocken zusammen. Der Hörer fiel scheppernd auf den Tisch, stieß das Blutröhrchen an, so dass es wie eine Billardkugel auf den Rand des Tisches zurollte.
Ich beugte mich vor, um es aufzuhalten, doch Dr. Janoschs Arm war im Weg. Als ich mit meiner Hand die Kante erreichte, war es zu spät. Krachend fiel das Röhrchen mit der kostbaren Flüssigkeit auf den Fliesenboden und zerschellte in tausend kleine Einzelstücke. Blut spritzte an meine und Dr. Janoschs Hosenbeine und verteilte sich in den Ritzen der Fliesen. Es floss in dünnen Bächen den Boden hinunter.
Dr. Janosch sah auf das Blut und dann mich an. »Damit hat sich mein Anruf bei der Toxikologie erledigt.«
Er legte den Hörer auf die Gabel.
Ich kam mir wie ein Idiot vor. »Ich dachte, Sie wollten die Polizei rufen.«
»Nein, wollte ich nicht. Das war's dann.«
Ich nickte benommen. Meine letzte Chance zu beweisen, dass Franz ermordet wurde, klebte wie Himbeersirup an den hellen Fliesen und trocknete an der Luft von Sekunde zu Sekunde mehr aus.
»Und das können Sie nicht mehr nehmen? Bei DNS-Test reichen doch auch winzige Proben.«
Er schüttelte den Kopf. »Dafür würde es reichen. Aber wenn wir ausführliche toxikologische Tests machen wollen, brauchen wir mehr. Aber falls es Sie tröstet: Wir hätten wahrscheinlich sowieso nichts gefunden. Die meisten Gifte wirken so schnell, dass sie gar nicht im Blut nachweisbar sind, sondern nur im Mageninhalt. Und den habe ich garantiert nicht mehr.«
Ich sah ihn an und schüttelte den Kopf. »Dann werden wir es nie erfahren.«
»Nein. Wohl nicht.«
Ich sah noch einmal auf Franz' letzte Tropfen, die sich inzwischen bräunlich verfärbten. Morgen war die Beerdigung, danach war gar nichts mehr von ihm übrig. »Gehen Sie zu Franz' Beerdigung?«, fragte ich den Rechtsmediziner.
Er zog die Augenbrauen hoch. »Ja, ich denke schon. Wann ist sie?«
»Ich weiß nicht genau. Irgendwann morgen früh.«
»Dann könnte ich direkt nach dem Dienst kommen.«
»Ja.«
»Sie werden sicher nicht da sein, nehme ich an.«
»Nein. Vielleicht können Sie eine Blume für mich auf den Sarg legen?«
»Mach ich. Wenn Sie mir sagen, wann die Feier stattfindet.«
»Okay. Das finde ich heraus. Ich ruf Sie dann an.«
»In Ordnung.«
Es tat mir in der Seele weh, dass ich nicht zu der Beerdigung gehen und Franz die letzte
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