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Das sechste Opfer (German Edition)

Das sechste Opfer (German Edition)

Titel: Das sechste Opfer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Johannson
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Mist heraus wollte, musste ich herausfinden, wer ganz oben am Hebel saß. Für wen ich eine Gefahr darstellte und was dahinter steckte. Alles andere hatte keinen Zweck. Das war ein Kampf gegen Windmühlen.
Ich musste eine einzige Frage klären. Die Frage nach dem »Warum«.
Doch das war schwer genug.
    Wieder im Treppenhaus hörte ich, wie sich die beiden anschrien. Sie beschuldigte ihn, nicht ehrlich zu ihr gewesen zu sein, und er warf ihr an den Kopf, dass sein Job sie nichts anginge, solange er ihre Miete zahlte. Die Diskussion erinnerte mich so an meine letzten Auseinandersetzungen mit Nicole, dass ich mich auf die Treppe setzte und gegen heiße, beißende Tränen ankämpfen musste, die in mir aufsteigen wollten. Ich verlor den Kampf.
Im faden Licht einer alten, verstaubten Deckenlampe in dem kalten, leeren Treppenhaus auf den Stufen heulte ich müde, hungrig und völlig erschöpft wie ein Baby. Ich weinte um meine ehemals glückliche Ehe, darüber, dass mein Freund meinen Hirngespinsten um einen packenden Bericht zum Opfer gefallen war und ich morgen nicht zu seiner Beerdigung gehen konnte. Ich weinte, weil ich nicht wusste, was aus mir werden sollte, wo ich heute schlafen würde, und weil ich keine Ahnung hatte, ob ich aus diesem Albtraum jemals wieder erwachen würde.
Die Lampe im Treppenhaus ging nach einiger Zeit aus und ich saß im Dunkeln. Die Erinnerungen an mein einstmals glückliches Leben schmerzten in meinem Inneren wie kein körperlicher Schmerz es jemals vermocht hatte. Bilder von glücklichen Momenten zogen vor meinem geistigen Auge vorüber: wie ich mit Nicole in der Küche stand und sie vor dem Herd verführte. Wie wir kurz nach unserer Hochzeit Hand in Hand am Strand entlang liefen und es kaum bis nach Hause schafften, weil wir so wild aufeinander waren. Wie ich ihr vor lauter Aufregung vor dem Traualtar fast den falschen Ring gegeben hatte. Wie ich gemütlich vor meinem Computer saß und mich während der Arbeit schon auf den Feierabend und ein gutes Bierchen mit Franz freute. Sein glücklicher Blick, als ich ihm sagte, dass er mit Sicherheit der Pate unseres ersten Kindes würde. Der Tag, an dem Nicole mir zum ersten Mal sagte, dass sie mich liebte. Die Nacht, in der wir über dem Atlas vertieft überlegten, wo unser erster Urlaub hingehen sollte. Der Morgen, an dem mir Franz erzählte, wie er sich unsere Zusammenarbeit vorstellte.
Die Bilder wollten nicht enden, und so hörte auch der Schmerz nicht auf.
Die Tränen liefen mir aus Augen und Nase, rannen meinen Hals hinunter auf mein T-Shirt, durchnässten meine Hose und den Ärmel meiner Jacke, mit dem ich immer wieder über das Gesicht wischte. Dabei wurde mir auch die Ironie meiner Situation bewusst, dass ich mit den Recherchen für diese Geschichte nur damit begonnen hatte, um mein Leben, so bequem und schön wie es war, auf jeden Fall aufrecht erhalten zu können. Ich wollte mich nicht mit etwaigen Veränderungen auseinandersetzen oder neue Verantwortungen übernehmen. Weil ich dieses Leben um keinen Preis aufgeben wollte, hatte ich es komplett verloren.
Ich weiß nicht mehr, wie lange ich so saß und die Tränen rinnen ließ. Aber irgendwann war ich fertig damit. Die Bilder verschwanden und machten der kalten, nüchternen Realität Platz, wo Sentimentalität nicht angebracht war.
Meine Augen brannten und ich bekam keine Luft mehr durch meine angeschwollene Nase. Langsam stand ich auf und wischte mir das Salz von der Haut. Meine nassen Klamotten klebten an meinem Körper, als ich hinausging. Ich lief zum Volvo, holte meine Siebensachen heraus und ging dann durch die Straßen. Irgendwohin. Meine einsamen Schritte hallten von den Wänden der Häuser wider, die Dunkelheit verschluckte meinen Schatten. Ich lief und lief – ein gehetztes Geschöpf im Dickicht der Großstadt.
    ***
    Sobald der Morgen anbrach und die Geschäfte öffneten, suchte ich eine Drogerie auf, in der ich mir von meinen letzten verbliebenen Euro Seife, eine Rasierklinge, eine Telefonkarte und etwas zu essen kaufte. Ich war jetzt völlig pleite, besaß gerade noch sechs Cent. Das hieß, wenn ich weiter existieren wollte, musste ich entweder anfangen zu stehlen, zu betteln oder eine Bank überfallen. Alles keine besonders erquicklichen Gedanken an diesem frühem Morgen.
Zum Glück schien die Verkäuferin in der Drogerie keine Freundin von Nachrichten zu sein, denn mein Gesicht rief keinerlei Reaktion bei ihr hervor.
Doch sobald ich wieder aus dem Laden raus war, suchte ich

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