Das Sexprojekt: Wie ich (mich) auszog, die beste Liebhaberin der Welt zu werden (German Edition)
tatsächlich total egal, wer da vor dir steht? Es passiert einfach so?« – »Ja«, sage ich, »es muss ja nicht einmal irgendjemand vor mir stehen. Ich muss noch nicht einmal an irgendetwas Sexuelles denken. Es kommt von selbst.«
»Jetzt«, sage ich, als ich während des Abendessens den Chitinpanzer einer Gamba aufbreche, und dann noch mal beim Dessert. An diesem Abend kommt auf Arte L é olo , ein Film von Jean-Claude Lauzon. Der Film dauert 107 Minuten, nach einer Dreiviertelstunde schießen mir die ersten Tränchen in die Augen. Und während ich trötend eine Nase voll Rotz in das Taschentuch schnäuze: »Je-he-he-tzt.«
Als wir später im Bett liegen, küsst mich L und nimmt liebevoll mein Gesicht in seine Hände. »Jetzt auch?«
»Ja. Jetzt auch.«
Die Tantramassage
Wer die beste Liebhaberin der Welt werden wolle, müsse das können, hat Anne gesagt. Ich kann mir unter einer Tantramassage nichts Genaues vorstellen. Ich habe keine konkreten Bilder im Kopf, sehe aber nebulös eine Frau mit Seidenschal vor mir, die oft »ganzheitlich« sagt und ausholende Bewegungen mit den Armen macht, wenn sie spricht. Dann wird man wohl massiert und das hat dann irgendwie mit Sex zu tun. Und Indien. Und Räucherstäbchen. So weit mein Wissen über Tantramassagen.
»Was weißt du über Tantramassagen?« L. sieht von seinem Laptop auf. »Die gibt es in einem Tantra-Emma-Laden?«, vermutet er und wendet sich wieder dem Computer zu. »Sehr witzig«, finde ich und zwicke ihn ins Ohr. »Im Ernst jetzt.« L. nimmt meine Hand und hält sie an sein Herz: »Im Ernst habe ich keine Ahnung. Ich glaube, das ist Ringelpietz mit Anfassen auf esoterisch.« Ich setze mich auf L.s Schoß und wir sehen, was wir im Internet darüber finden. Nach einer halben Stunde sind wir keinen Schritt weiter. Ich finde keine Seite, die erklärt, was da genau passiert. Ich lese nur die ganze Zeit Worte wie:
Liebe, Sexualität, Spiritualität, ganzheitlich, Chakren, Blockaden, Yoni- und Lingam-Massage, Bewusstsein, Indien ...
»Eso-Scheiße«, fasse ich es zusammen.
Ich möchte da jetzt niemandem zu nahe treten, besonders nicht Anne, in deren Gegenwart ich nie Eso-Scheiße sage. Mein ganzheitliches Bewusstsein hält nun mal gar nichts von Chakren, Qis 96 und Meridianen. Ich bin das Kind von Naturwissenschaftlern. Wenn ich mit einer neu erworbenen Schulweisheit nach Hause kam, hieß es erst einmal: Beweise es . Nichtsdestotrotz habe ich ehrlichen, freundlichen Spaß an mystischem Tamtam, Wünschen ans Universum und Tageshoroskopen in der Zeitung. Und bin grässlich neugierig.
Ich schlage deshalb vor: »Probieren wir das doch aus!«
L. sieht mich etwas irritiert an. »Wie jetzt, wir zwei? Kannst du das denn?«
»Nein«, wiegle ich ab, »ich meine in so einem Zentrum, bei jemand Professionellem.« L. macht ein skeptisches Gesicht. »Meinst du, das ist nicht sehr … komisch? Also im Sinne von eigenartig? Unangenehm?« Das könnte natürlich sein.
»Dann brechen wir eben ab und sagen, wir wollen lieber ganzheitlich verschwinden.« L. will eine Nacht drüber schlafen.
Am nächsten Tag in der Arbeit klicke ich mich durch die vielen Tantrazentren, -schulen, -kurse und -seminare und bleibe bei der Seite einer Praxis hängen, die ein passives Coaching für Paare anbietet.
Möglichkeit 1: Eine sinnliche, tiefenentspannende und energetisierende Ganzkörpermassage inklusive Yoni- oder Lingammassage 97 für einen von uns beiden, von einem/r erfahrenen Tantramasseur/-in. Der andere schaut zu. Dauert 2 ½ Stunden, kostet 195 Euro.
Möglichkeit 2: Eine sinnliche, tiefenentspannende und energetisierende Ganzkörpermassage inklusive Yoni- oder Lingammassage für einen von uns beiden, von einem/r erfahrenen Tantramasseur/-in. Der Partner massiert mit. Dauert 2 ½ Stunden, kostet 290 Euro.
Möglichkeit 3: Es dauert doppelt so lange und wir werden nacheinander oder gleichzeitig massiert. Das kostet dann 390 Euro.
Was genau dabei passiert, ist mir noch nicht ganz klar. Ich habe immer noch die Frau mit dem Seidenschal und den ausufernden Armbewegungen vor mir. Die eine Menge Geld von mir bekommt.
»Wir nehmen das Billigste, hm? Wenn es toll ist, können wir uns ja immer noch verschulden .« L. ist da emotionslos. Klar, Tantramasseure haben keine technischen Schalter. »Also gut. Dann buche ich eine Massage für dich. Ich guck zu und lerne«, beschließe ich selbstlos. »Feigling«, sagt L. und: »Aber nicht, dass du eifersüchtig wirst und ich mir das dann ein
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