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Das sexuelle Leben der Catherine M.

Das sexuelle Leben der Catherine M.

Titel: Das sexuelle Leben der Catherine M. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Millet
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Klarheit, mit den ruhigen Schwingungen ihrer Modulation den Sprecher völlig preisgeben, sie war so deutlich und sicher wie eine Hand, die sich öffnet: »Voila!« Einige Zeit später hörte ich diese Stimme wieder am Telefon, diesmal direkt; sie wies mich auf einen Druckfehler in einem Katalog hin, an dem Jacques mitgearbeitet und den ich bearbeitet hatte. Er schlug vor, vorbeizukommen und mir bei der Korrektur der Exemplare zu helfen. Damit brachten wir in einem winzigen Büro, wenige Zentimeter voneinander entfernt, Stunden zu. Ich war sehr verärgert über meinen Fehler, er hingegen schien der Meinung zu sein, man müsse ihn nur berichtigen. Er war aufmerksam, aber nicht eifrig. Nach einer dieser langwierigen Sitzungen schlug er mir vor, ihn zum Essen bei einem engen Freund zu begleiten. Nach dem Essen zwängten wir uns zu mehreren auf ein Bett, das auch als Sofa diente, wir lagen halb ausgestreckt und unbequem, Jacques streichelte mit der Rückseite seines Zeigefingers mein Handgelenk. Diese Berührung kam unverhofft, sie war so ungewöhnlich und so schön, dass sie mich immer noch anrührt, auch wenn sie für eine andere Haut als die meine bestimmt ist. Ich ging mit Jacques nach Hause. Am Morgen fragte er mich, mit wem ich schliefe. Ich antwortete: »Mit vielen.« Und er sagte: »Scheiße, ich verliebe mich gerade in ein Mädchen, das mit vielen schläft.«
Die Lust des Erzählens
    Außer meinen Eltern habe ich niemandem Ausmaß und Eklektizismus meines Sexuallebens verschwiegen. (Wenn ich mir zu Zeiten, da das Wort »Hochzeitsnacht« noch ein sehr verschwommener Begriff für mich war, vorstellte, dass meine Mutter wusste, was ich tat, wenn diese Nacht für mich kommen würde, durchlitt ich schreckliche Qualen.) Nach und nach und irgendwie vage habe ich begriffen, was mir dieser Lebensstil bot: die Illusion, in mir selbst ozeanische Möglichkeiten zu eröffnen. Man ist ja den verschiedensten Zwängen unterworfen (eine Arbeit, die in Anspruch nimmt und Stress erzeugt; dem Schicksal der Armut; und am hinderlichsten von allem: den nervenaufreibenden Familien- und Beziehungskonflikten); so war die Sicherheit, in allen Situationen und mit allen Leuten, die es wollen, Sex haben zu können (um die Illusion aufrechtzuerhalten, musste man natürlich alle, die nicht wollten, hinter den Horizont verbannen), wie frische Luft, mit der man die Lungen füllt, wenn man bis ans Ende eines schmalen Piers spaziert. Und da die Realität dieser Freiheit auch Grenzen setzte (ich konnte nicht anders; und selbst wenn ich anders gekonnt hätte, hätten meine Schenkel nur die Schließe eines verschwindend kleinen Teils der Kette der Menschen umschlossen), musste das Wort, die Erinnerung, vor allem die schnell aufeinander folgende Erinnerung an meine sexuellen Episoden zu jeder Zeit und in vollem Ausmaß sämtliche Möglichkeiten ausschöpfen. »Ich bin hier, mit dir, mit euch, doch wenn ich erzähle, ziehe ich das Laken weg, öffne ein Loch in der Wand, damit die ganze Armee aus der Kulisse treten und uns anmustern kann.« Im Allgemeinen erwähnte ich ab dem dritten oder vierten Treffen irgendwelche Männervornamen in Verbindung mit harmlosen Aktivitäten, die aber zweideutig interpretiert werden konnten, und wenn ich mir noch sicherer war, spielte ich auf originelle Situationen an, in denen ich schon gevögelt hatte. Ich testete die Reaktion. Ich sagte schon, dass ich niemanden bekehren und schon gar nicht provozieren wollte, es sei denn aus einer harmlosen Perversion heraus und immer nur jemanden, der schon als Komplize galt. Ich war offen und vorsichtig und folgte einer Dreipunkte-Methode: In gewisser Weise schützte ich mich vor einer neuen Beziehung, indem ich mich immer nur zusammen mit meinen Partnern bewegte; dann prüfte ich, ob der Neue zu dieser Gemeinschaft gehörte, und schließlich weckte ich seine Neugier, egal, wie er reagierte; ich begab mich aber nie aus der Schutzzone heraus.
    Der Freund, der mich beim Vögeln immer zum Reden brachte, wollte natürlich nicht nur meine Fantasien, sondern auch wahre Geschichten hören. Ich musste ihm Namen sagen, Orte beschreiben, ihm genau schildern, wie oft wir es trieben. Wenn ich mich an eine neue Bekanntschaft erinnerte und nicht sehr exakt erzählte, fragte er schnell: »Hast du mit ihm geschlafen?« Sein Interesse galt nicht nur den sexuellen Dingen, wie: »Welche Farbe hatte seine Eichel, als du die Vorhaut zurückgezogen hast? Braun? Rot? Hast du ihm den Arsch gewichst? Mit der

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