Das sexuelle Leben der Catherine M.
fand ihn verführerisch; seine theoretischen Diskurse wirkten durch meine nur oberflächlichen Kenntnisse des Englischen sehr drollig, und die Bewegung seiner Lippen brachte seine jugendlichen Wangenknochen zur Geltung. Ich war nach New York gereist und wollte Sol LeWitt treffen, der gerade seine Papierarbeiten ausstellte. Vom Flughafen aus hatte ich William angerufen und mich angekündigt. Ich sehe noch, wie wir in dem Loft, wo er gerade eingezogen war, gierig im Stehen vögelten und er John ermutigte, es ihm gleichzutun. Drei viertel hohe, im rechten Winkel aneinander gefügte Wände bildeten Nischen, bunt zusammengewürfelt wie Bauklötze. Vier, fünf Personen kamen und gingen, alle machten den Eindruck, als seien sie auf eine bestimmte Sache konzentriert. William trug mich zu einer Matratze hinter einer Wand. John war sehr zärtlich, ganz anders als der kraftvolle William. William ließ uns allein, John schlief irgendwann ein, wir hatten uns aneinander geschmiegt, seine Hand steckte in meinem Schoß. Am Morgen musste ich mich wie ein Schlangenmensch mit langsamen, kräftigen Bewegungen aus dem Schraubstock seines Arms winden und unter dem Laken hervor aufs Parkett krabbeln, denn trotz des Tageslichts, das schon durch alle Fenster drang, schlief er immer noch. Ich lief auf die Straße, hielt ein Taxi an und erreichte mit knapper Not noch mein Flugzeug. Ich verfolgte die Arbeit der Gruppe weiter, John sah ich jedoch jahrelang nicht wieder. Und als ich ihn dann bei einer Retrospektive traf, wechselten wir gerade mal ein paar Worte, denn ich hatte Mühe, mich mit ihm zu verständigen.
Mit der Zeit wich die Schüchternheit, die ich in Gesellschaft empfand, der Langeweile. Selbst bei Freunden, mit denen ich gern zusammen bin, und selbst wenn ich am Anfang das Gespräch verfolge und auch keine Angst mehr habe, selbst etwas zu sagen, kommt immer der Moment, wo ich plötzlich das Interesse verliere. Es ist eine Frage der Zeit – auf einmal habe ich genug; egal, um welche Themen es geht, bekomme ich das Gefühl, mich zu versteifen wie bei diesen Fernsehserien, die so öde sind wie der Alltag selbst. Und das ändert sich auch nicht mehr. In so einem Fall fliehe ich mich in stumme, manchmal sogar blinde Gesten. Ich bin zwar nicht sehr aktiv, doch oft drücke ich dann einfach den Schenkel an meinen Nachbarn oder meine Nachbarin (das hat weniger Folgen) oder ich hake meinen Fuß bei jemandem ein und komme mir vor wie eine unbeteiligte Beobachterin, die mit anderen Dingen beschäftigt ist. Wenn ich mit anderen unterwegs bin, beispielsweise im Urlaub, und man zusammen alles Mögliche unternimmt, habe ich oft das Bedürfnis, spontan selbst etwas zu unternehmen und mich den gemeinsamen Mahlzeiten oder Unternehmungen auf diese Weise zu entziehen. Ich habe schon sehr bewegte Sommer erlebt, die geprägt waren vom steten Wechsel der Sexpartner, manchmal auch bei kleinen Partys, in der Sonne, hinter der Mauer eines Gartens über dem Meer, und dem nächtlichen Kommen und Gehen in den vielen Zimmern einer großen Villa. Eines Abends will ich nicht mit den anderen ausgehen; Paul, der mich gut kennt, der sich gutmütig über mein Verhalten lustig macht und der sich manchmal den Spaß erlaubte, mich in der Toilette festzuhalten, nur damit meine Ungeduld wuchs und ich es gar nicht erwarten konnte, mich wieder ins Getümmel der Körper zu stürzen, Paul also verspricht mir, mich zu einem Freund zu bringen, den ich noch nicht kenne, einen Automechaniker, der nichts mit Malerkreisen zu tun hat. Er weiß, dass ich lieber diese Bekanntschaft mache, als mit den anderen essen zu gehen und dann müde in einem Café oder einer Bar zu warten, bis die Müdigkeit auch die anderen befällt. Ich höre ihm kaum zu und bereite mich darauf vor, den Abend alleine zu verbringen. Diese Momente haben etwas Sanftes, wenn die Leere um einen herum nicht nur Raum schafft, sondern auch die Zeit, die vor einem liegt, unendlich erscheinen lässt. Mit unbewusster Sparsamkeit genießt man diese Gelegenheit, indem man nur faul in einem Sessel kauert und im wahrsten Sinne des Wortes der Zeit Platz lässt. Die Küche ist ganz hinten in der Villa, ich schmiere mir ein Brot. Ich habe den Mund voll, als Pauls Freund in der Tür erscheint, die direkt auf den Garten geht. Er ist groß, hat braune Haare, helle Augen und sieht in der Dunkelheit irgendwie eindrucksvoll aus. Er entschuldigt sich freundlich, er sehe wohl, dass ich gerade esse, ich solle mich auf keinen Fall stören
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