Das sexuelle Leben der Catherine M.
beispielsweise bei einer Einweihungsfeier mit vielen Gästen. Ein Kommen und Gehen in einem großen Atelier, man kann sich nicht setzen. »Mit diesem Typ da hinten könntest du wirklich einen Orgasmus haben? Klasse, er ist nicht schlecht, aber das heißt nichts. Was kann er dir Gutes tun?« Ich nicke, es ist wahr, der Mann ist nichts, und außerdem passt er nicht zu uns. In meinen Gedankenfluchten gehöre ich ganz unterschiedlichen Kreisen an und bringe gerne Leute zusammen. Ich lade ihn ein, niemand kennt ihn. Jemand fragt mich, wer der Typ in diesem schrecklich altmodischen Hippie-Gewand war. Trotzdem. Wenn ich bei ihm die Nacht verbringe, lecken wir uns stundenlang, bevor wir in das kaputte Bett gehen. Es macht mich wahnsinnig an, bei 69 meine Brust an seinem etwas schwabbeligen Bauch zu reiben. »Du hast wirklich eine Vorliebe für Männer mit Schmerbauch.« – »Ich habe geträumt, ich hätte Raymond Barre auf einer Sexparty getroffen! … Und außerdem mag ich es nicht, wenn sie so sauber sind … Ich glaube, er putzt sich nie die Zähne.« – »Du bist widerlich. Er ist doch verheiratet, oder?« – »Ich habe ein Bild von seiner Frau gesehen. Sie ist so hässlich, dass sie schon wieder schön ist …« Auch das erregt mich. Ich spreche in normaler Lautstärke, doch mit Erläuterungen knausre ich. Ich schwelge im Gedanken an diese ansteckende Schmutzigkeit und Hässlichkeit und genieße gleichzeitig den leichten Ekel meines Gesprächspartners. »Ihr leckt euch. Und dann?« – »Du kannst dir nicht vorstellen, wie er stöhnt … Wenn ich ihm den Arsch lecke, geht er auf die Knie und streckt ihn raus, er hat ganz weiße Arschbacken … Er wackelt mit dem Arsch, wenn ich ihm die Nase reinstecke. Dann gehe ich auf alle viere … Er kommt mit kleinen, wie soll ich sagen, sehr gezielten Stößen.« Mein Gesprächspartner macht auch Gruppensex, doch es hat sich nie ergeben, dass wir zusammen schliefen. Er zieht mich auch nicht besonders an. Er gehört nicht zu denen, die mich mit Fragen löchern, doch er hört mir zu; am Ende nennen wir beide den Vornamen des Freundes eines Freundes, den wir beide nie getroffen haben, und ich betrachte ihn als dazugehörig.
Je mehr gesellschaftlichen Umgang ich hatte, desto mehr bildete ich einen Pragmatismus aus, der sexuellen Kontakten eigen ist. Wenn ich bei den ersten Treffen die Empfänglichkeit des anderen für Dreierspiele getestet hatte, kamen die Worte dran. Einigen genügte die leichte Aura der Wollust, die mich umgab, während andere mich, wie gerade beschrieben, gerne in Gedanken bei der kleinsten Berührung begleiteten, der ich mich hingab. Hinzu kommt, dass die Wahrheit im Gespräch niemals absolut ist, sie ist immer an die Entwicklung von Gefühlen gebunden. Bei Jacques war ich am Anfang gesprächig, später, als wir unsere Beziehung als Liebesbeziehung empfanden und lebten, musste ich recht und schlecht und vor allem nachträglich damit zurechtkommen, dass sexuelle Abenteuer und die Schilderungen von Abenteuern mit einem Tabu belegt wurden; dabei fand ich in seinen Romanen Schilderungen erotischer Szenen – sicherlich der Widerhall einer Anekdote, die ich ihm erzählt hatte. Von allen Männern, mit denen ich dauerhafte Beziehungen hatte, blockten nur zwei von Anfang an meine weit schweifenden Ausführungen ab. Doch ich bin fast sicher, dass das, was sie nicht wissen wollten und was folglich nicht ausgesprochen wurde, trotzdem ein wesentliches Element unseres Umgangs war.
Wer moralischen Prinzipien folgt, ist bestimmt besser gegen Eifersuchtsanfälle gewappnet als jene, die mit ihrer liberalen Lebenssicht gegenüber leidenschaftlichen Ausbrüchen machtlos sind. Die größte und aufrichtigste Liberalität, die ein Mensch in der Lust ausdrückt und die er mit dem Körper eines geliebten Menschen teilt, kann urplötzlich von einer entsprechend großen Intoleranz durchkreuzt werden. Die Eifersucht ist vielleicht die Quelle, die in seinem tiefsten Inneren vor sich hin plätschert, und ihre Tropfen bewässern unterschwellig und stetig das Feld der Libido, bis sie sich zum Fluss formen, der über die Ufer tritt; das ist das Gewissen als Ganzes, das wurde Millionen Mal beschrieben. Ich kenne es aus Beobachtungen und auch aus eigener Erfahrung. Ich selbst erlebte diese Konfrontationen und ihre Manifestationen in einem Stupor, den selbst der Tod geliebter Menschen bei mir nicht auslösen konnte, auch wenn er brutal oder unnatürlich war. Ich musste Victor Hugo lesen und
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