Das sexuelle Leben der Catherine M.
Haare in meinem Motorradhelm klebten –, all das verursachte mir einen so heftigen Schmerz, dass ich ihn mit den drastischsten Mitteln meiner Fantasie austreiben musste. Ich stellte mir vor, dass ich die beiden überrascht und das Haus verlassen hätte, ich ging den Boulevard Diderot hinunter zur Seine und stürzte mich ins Wasser. Oder ich lief immer weiter bis zur völligen Erschöpfung, und man musste mich, irr oder stumm geworden, in eine Anstalt bringen. Eine weniger pathetische Flucht war heftiges Masturbieren. Da ich ja schon einige Fantasien wiedergab, die diese Tätigkeit unterstützten, sollte ich vielleicht noch ein Wort zu den Veränderungen sagen, die meine Fantasien zu einem bestimmten Zeitpunkt erfuhren. Die unvorhergesehenen Ereignisse auf unbebauten Grundstücken, die Episoden mit den Boten als gleichmütige Profiteure, ersetzte ich durch ein Repertoire an Szenen, in denen ich nicht mehr vorkam – Jacques war der einzige Mann, begleitet wurde er von einer seiner Freundinnen. Die Szenen waren zu einem Teil fiktiv, zum anderen bestanden sie aus Fragmenten, die ich sammelte, wenn ich heimlich seine Hefte oder seine Korrespondenz las; er selbst spricht nur wenig darüber. Sie parken den Austin unter einer Eisenbahnbrücke, auf engem Raum drückt er ihren Kopf sanft an seinen Bauch, mit beiden Händen, so wie man eine Glaskugel mit einem kostbaren Gegenstand hält, bis ihr seine Sahne in den Hals spritzt und er sieht, dass sie ein wenig hart schluckt. Oder ich sehe, wie der große weiße Arsch wie ein riesiger Champignon auf dem Wohnzimmersofa knospt und Jacques ihn bumst und laut dagegenklatscht. Oder das Mädchen steht aufrecht, mit einem Fuß auf einem Schemel, wie es viele Frauen machen, wenn sie ein Tampon einführen; Jacques steht auf den Zehenspitzen, fasst sie an den Hüften und dringt von hinten ein. Ich kam immer genau dann, wenn ich Jacques in meiner Fantasie kommen ließ, und vor meinem geistigen Auge konnte ich in jenem Moment die starke asymmetrische Verzerrung seines Gesichts sehen. Diese Vereinnahme meiner alten Fantasien schützte mich am Ende, trotzdem brauchte es viel Beharrlichkeit und Willensstärke, damit sie diesen Bereich meiner Vorstellungswelt mit mir selbst als Protagonistin wiedererobern konnten. Käufliche Liebe ist wie der Kokon einer Seidenraupe, sie überdeckt die sexuelle Beziehung, die sich entfaltet; ich kann dieses Kapitel nicht schließen, ohne mich an meinen einzigen und gescheiterten Versuch der Prostitution zu erinnern. Wenn ich von Madame Claude reden hörte, konnte ich mich immer meinen Träumereien zur Edelprostitution überlassen, konnte neidisch sein auf Catherine Deneuve in Belle de jour, doch ich wäre nie in der Lage gewesen, auch nur einen Schritt in diese Richtung zu machen. Es heißt, dass Lydie, die einzige Frau, die bei den Partys jemals selbst die Initiative ergriff, einige Tage in einem Bordell in Palermo verbracht hätte, damit sie mit dem verdienten Geld einem Freund ein tolles Fest ausrichten konnte. Das war für mich ein Traum, ich war sprachlos. Die Gründe sind verständlich – ich habe schon ausreichend über meine Schüchternheit und meine extrem zurückhaltende Natur gesprochen. Um eine käufliche Beziehung aufzubauen, müsste ich zuerst Worte wechseln oder Gesten austauschen, was so kompliziert ist wie bei jeder normalen Unterhaltung und sich für mich nicht sehr von den Verführungssituationen unterschied, die ich immer mied. Im einen wie im anderen Fall müsste ich die Haltung und die Antworten des anderen mit einbeziehen, um diese Rolle zu spielen. Aber ich kann mich beim ersten Kontakt nur auf einen Körper konzentrieren. Erst danach, wenn ich in gewisser Weise meine Bezugspunkte habe, wenn mir die Struktur und die Pigmentierung der Haut vertraut sind oder wenn ich meinen Körper mit dem anderen Körper in Einklang gebracht habe, dann kann mein Interesse auch zu der Person »aufsteigen«, und es kann, wie gesagt, eine herzliche, dauerhafte Freundschaft entstehen. Doch dann war die Zeit schon vorbei, wo ich Geld verlangen konnte.
Dennoch hätte ich es fast getan. Eine alte Schulfreundin wollte mir einen Gefallen tun; ein Liebhaber hatte ihr vorgeschlagen, sich mit einer Frau zu treffen, die auf sehr junge Frauen steht. Sie selbst traute sich nicht, dachte aber, das könnte mich interessieren. Sie war der Meinung, es mit einer Frau zu tun sei »weniger schlimm« als mit einem Mann. In einem Café in Montparnasse verabredete ich mich
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