Das sexuelle Leben der Catherine M.
Vögeln, sondern beim Küssen, mir reichte sogar die erste Umarmung. Natürlich gab es Ausnahmen, dennoch hatte die Fortsetzung, wenn sie nicht gerade unangenehm war, den Geschmack der Waffel, die man bricht, wenn kein Eis mehr übrig ist, das man sich auf der Zunge zergehen lassen kann; die Anziehungskraft eines Bildes, an dem man sich schon zum fünfzehnten Mal geweidet hat. Wenn ich überrascht wurde, war meine Lust am größten. Ich kann mich erinnern, in diesen Situationen die schönsten Orgasmen gehabt zu haben. Zum Beispiel spät in der Nacht gehe ich durch das große Foyer eines Hotel Intercontinental, der elegante, vornehme Assistent, der mich seit zwei Wochen auf einer Rundreise durchs Land begleitet, nimmt meinen Arm, als wir uns gute Nacht sagen, er drückt mich an sich und küsst mich auf den Mund. »Morgen früh komme ich auf dein Zimmer.« Ich spüre die Kontraktion bis in den Bauch und mache mich auf den Weg zu den Mädchen an der fernen Rezeption und verstauche mir den Knöchel. Oder ich schwebe knapp über dem Teppichboden zu einem Hausherrn, der ein wenig betrunken mitten unter den anderen Gästen fläzt, er langt in den Nackenausschnitt meines Pullovers, zieht mich an sich und küsst mich lange wie bei diesen Kinoküssen, wo man immer den Kopf hin und her bewegt. Der Abend war nicht so gedacht, dass es zum Sex kommt. Seine Frau unterhält sich im Nebenzimmer, einer seiner Freunde, der wie wir auf dem Boden sitzt und dessen Gesicht zufällig ganz nah ist, sieht uns verwirrt an. Ich lasse mich völlig gehen. Oder ich bin mit Bruno bei der Ausstellung »Dernier Picasso« im Centre Georges Pompidou; unsere Beziehung ist sehr situationsabhängig. Er verschwindet aus meinem Blickfeld, wenn ich mich einem Bild nähere, doch seine Präsenz wird noch deutlicher, und ich werde plötzlich von einer kurzen, aber spürbaren Hormonausschüttung überrascht. Ich gehe weiter durch die Ausstellung und spüre, wie die Strumpfhose an meinen Schamlippen klebt und beim Gehen an meinen Schenkeln reibt. Während es mir ziemlich egal war, ob ich bei den zielgerichteten Berührungen der ersten Phase meines Liebeslebens oder in der zweiten Phase beim Geschlechtsverkehr das gleiche Gefühl hatte, hoffte ich, nachdem ich mir seiner Einzigartigkeit bewusst wurde, dass dieser diffuse Druck im Unterleib und die berühmte Welle, die ihn mit sich nimmt, sich gleichermaßen in der Fortsetzung einer Beziehung wieder finden lässt.
Bis zur Hälfte meines Lebens hatte ich zwei feste Beziehungen, die eine war sorglos, die andere leidenschaftlich, aber beide entwickelten sich nach einem ähnlichen Schema. Ich wurde mir langsam bewusst, welches Verlangen ich nach diesem Mann hatte, und dieses Verlangen wurde umso brennender. Auf dem Höhepunkt der Lust vögelten wir leidenschaftlich, doch meine Befriedigung war nie so groß wie bei der anfänglichen Berührung. Lange Jahre verband mich mit dem Freund, der mich auf die Picasso-Ausstellung begleitet hatte, eine treue Freundschaft, die hin und wieder durch störende, aggressive, kaum akzeptierte Begierden bedroht wurde. Das war meine einzige chaotische Erfahrung. Wochenlang besuchte ich ihn fast täglich, doch eines Tages läutete ich und niemand öffnete. Die Tür blieb wochen-, ja monatelang verschlossen. Bis meine ungläubige Sturheit schließlich durch eine raue Stimme am anderen Ende der Klingelleitung belohnt und ich wieder eingelassen wurde. Durch diese Unsicherheit hat sich der augenblickliche Orgasmus bestimmt oft wiederholt. Wir unterhielten uns angeregt, tauschten Lektüreeindrücke aus, oft im Stehen in einem Raum, wo ein Quäker hätte leben können. Die Zeit verging, ich näherte mich ihm. »Du hast wohl Lust zum Schmusen?«, fragte er zerstreut, aber liebevoll wie ein Erwachsener, den ein Kind bei seiner Beschäftigung stört. Seine Hand schob sich in meinen Slip, und zwei, vier Finger entrissen mir einen leisen, kurzen Schmerzensschrei, die Überraschung war genauso groß wie die Lust. Auch ihm machte es Lust, den bereits überschwemmten Weg zu finden. Wir streichelten uns und vögelten ausgiebig, er holte weit aus bei seinen Bewegungen. Wenn ich lag, zog er das Laken mit der gleichen Bewegung zurück, wie er mir auch über die Brust fuhr; ich lag ausgestreckt und reglos da, und er strich mit der Handfläche in einem Zug über meinen Körper, als sei ich nur eine dahin geworfene Skizze. Wenn ich mich dann mit ihm beschäftigte, erforschte ich ihn minutiös, vor allem die
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