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Das sexuelle Leben der Catherine M.

Das sexuelle Leben der Catherine M.

Titel: Das sexuelle Leben der Catherine M. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Millet
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Ein Hass jedoch, der mich einen Moment lang vollständig ausfüllte wie geschmolzenes Metall eine Gussform. Da ich dieses Gefühl unbedingt beschreiben wollte, verglich ich es auch mit einer Skulptur, mit dem hermetischen Würfel vom Tony Smith. Doch wie der Druck, der nach einem gescheiterten Treffen auf mir lastete, nicht über die Taxifahrt oder die Fahrt mit der Metro hinaus andauerte, überlebte glücklicherweise auch dieser rasende Hass den Reflex nicht, der mich ins Bad führt. Und ich glaube, als ich meine Möse im Bad abwischte, kam mir zum ersten Mal der Gedanke, über alles ganz offen zu sprechen.
    Über einen Zeitraum von schätzungsweise drei, vielleicht auch vier Jahren verringerten sich meine Gelegenheiten zum Sex, und wenn ich Sex hatte, dann vor allem in gerade beschriebener Weise. Manche Wochen verbrachte ich isoliert durch lange Arbeitstage allein in Paris, die Nächte waren kurz wegen der Hitze und wegen der üblichen Ängste. Damals zog ich unter einem Haufen Wäsche diesen Massagestab hervor, den mir jemand Jahre zuvor geschenkt und den ich bis dahin nie benutzt hatte. Er funktioniert auf zwei Weisen und in zwei Geschwindigkeiten. Das obere Ende ist ein Puppenkopf mit einem Stern auf der Stirn und Haaren, deren Spitzen der Furche der Eichel entspricht. Der Kopf bewegt sich in großen oder kleinen Kreisen, während eine Art Wildschweinchen, das in der Mitte des Stabs abgesetzt ist, seine lange Zunge langsam oder schnell vibrieren lässt und die Klitoris reizen soll. Als ich das Ding zum ersten Mal benutzte, hatte ich sofort einen Orgasmus mit langen Kontraktionen, ganz deutlich, messbar, ohne dass ich meine Fantasie zu Hilfe nehmen musste. Ich war ganz aufgewühlt. Der Orgasmus, auch der intensivste Orgasmus wurde ausgelöst, ohne dass ich ständig auf die Quelle der Erregung des »ersten Mals« zurückgreifen, die Umstände dieses ersten Mals in der Fantasie erneuern musste und ohne dass ich gar die Zeit gehabt hätte, mir Boten und Bauarbeiter vorzustellen. Immer wieder heulte ich nach diesen schnellen Sitzungen. Ein Anflug von Bitterkeit mischte sich in die schmerzhafte Heftigkeit der Lust und in die Wollust des Alleinseins, von der ich schon sprach und die sich kaum gesteigert hatte. Der Gegensatz zwischen der so genannten »einsamen Lust« und meinem normalen Bedürfnis nach vielen Menschen war komisch. Als mir dann die Idee kam, über »alles die Wahrheit zu sagen«, wollte ich dem Buch den Titel geben: Das sexuelle Leben der Catherine M. Ich musste schrecklich lachen.
    Durch die Behandlung eines ausgezeichneten Zahnarztes, der mir nie eine Rechnung schickte, habe ich heute sehr gute Zähne, obwohl ich von der Natur wenig begünstigt war. Einmal, als er mich wie immer in seiner Praxis empfing, brachte er mich nicht ins Wartezimmer, wo ich normalerweise aufgerufen wurde, sondern in ein Zimmer, das größer und mit Antiquitäten statt mit modernen Möbeln eingerichtet war. Ich fühlte mich ganz fremd. Ich hatte eine vertraute Schwelle überschritten und fand mich in eine Filmkulisse oder in einen Traum versetzt. Er ließ mich eine Weile allein, dann kam er wieder, zog mich aus, streichelte Brust und Arsch, und verschwand wieder. Zehn Minuten später kam er mit einer jungen Frau zurück. Wir vögelten zu dritt. Erst später begriff ich, dass die Praxis zwei Wartezimmer mit zwei angrenzenden Behandlungszimmern hatte. Julien ging von einem Zimmer zum anderen, behandelte einen Patienten, während die Füllung des anderen härtete. Wenn nun ich oder eine andere Freundin oder beide gleichzeitig in den Behandlungszimmern waren, konnte er sich wie ein Zauberkünstler bei der einen aufgeilen und sein Ding wieder einstecken, durch die Tür in der Trennwand verschwinden und später wiederkommen. Normalerweise kam er, kaum dass er ihn hineingesteckt hatte. Die Einrichtung seiner Doppelpraxis hatte er spät abends, wenn der letzte Patient gegangen war, selbst entworfen. Am Wochenende spielte er auf sehr gutem Niveau bei Tennisturnieren. Manchmal buchte er ein Zimmer in einem großen Hotel und verabredete sich mit mir für den Nachmittag. Ich checkte ein, er kam für eine Viertelstunde und ließ mir Geld da zum Auschecken. Ich mochte ihn gerne. Mich rührte der geheimnisvolle Drang, der ihn unermüdlich zu diesem Verhalten trieb. Und ich identifizierte mich ein wenig mit ihm; auch ich war rastlos, auch ich wollte, wenn ich irgendwo war, immer woanders sein und wissen, was auf der anderen Seite der Wand

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