Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das sexuelle Leben der Catherine M.

Das sexuelle Leben der Catherine M.

Titel: Das sexuelle Leben der Catherine M. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Millet
Vom Netzwerk:
gewohnt hatte. Ich hatte richtiges Mitleid mit ihr, gleichzeitig war ich aber so befremdet, als hätte ich einen Albtraum. Die Erinnerung an diese Geschichten weckt in mir eine andere Erinnerung. Es war nicht nach einem üppigen Essen wie mit Basile, sondern es war an einem Tag, als ich womöglich im Gegenteil etwas zu mir genommen hatte, was schon leicht verdorben war, in meinem Bauch rumorte es. Lucien wollte mich unbedingt von hinten nehmen. Ich zog mich zwar aus und blies ihn leidenschaftlich, doch ich konnte ihn nicht dran hindern, dass er seine Finger in meinen wunden Hintern steckte; ich merkte mit Scham, dass ein wenig Flüssigkeit mitkam, als er sie wieder herauszog. Er schob seinen Schwanz hinein. Die Lust, die dieser Gebrauch des Rektums verschafft, ist ähnlich dem Lustgefühl kurz vor dem Herausdrücken der Exkremente, doch für die Gleichzeitigkeit beider Bewegungen war es zu eng und es tat höllisch weh. Ich ließ mich nie auf kopromanische Spiele ein, weder spontan noch verführt von Männern, die darauf standen. Zu diesen Zwischenfällen fällt mir ein, dass sie sich auch mit Männern ereigneten, die älter waren als ich und die beide aus unterschiedlichen Gründen mit einer Vaterfigur gleichgesetzt werden konnten. Nachdem Lucien ihn wieder herausgezogen hatte, ging er sich waschen, er sagte lediglich, ich solle mich doch nicht so haben, es sei doch so schön gewesen. Ich fühlte mich geborgen.
    Dieses Wohlbefinden, das man erfährt, wenn man sich in der Lust neben einem anderen Körper seines eigenen Körpers »entledigt«, stellt sich zum Teil auch dann ein, wenn man sich dieses Körpers in Unlust, Ekel oder im stärksten Schmerz entledigt. Ich sprach über den offenen Raum, den man erobert, von der Versuchung, seine Nacktheit mit fremden Augen zu betrachten wie in einem Schaufenster. In solchen Fällen ist die Nacktheit ein Schmuck, und sie auszustellen ist der Erregung vergleichbar, die man empfindet, wenn man sich im umgekehrten Fall zurechtmacht, sich kleidet und schminkt, um jemanden zu verführen. Ich sage Erregung, denn sie entsteht aus dem Verlangen nach der Reaktion, die ihr die Außenwelt entgegenbringt. Um Erregung handelt es sich jedoch sicherlich nicht, wenn man sich in seinem Schmerz oder der unmittelbaren Befriedigung elementarer Bedürfnisse abkapselt, sich krümmt und windet, wenn der Körper nicht mehr die Kraft hat, mehr Raum einzunehmen, als er schon in die Matratze gedrückt hat, wenn der Strahl des Erbrochenen die Zehen beschmutzt, wenn ein bisschen Scheiße zwischen die Backen gesickert ist. Wenn sich körperliche Lust dareinmischt, dann nicht, weil der Körper sich von etwas erfasst fühlt, das größer ist als er selbst, sondern weil er scheinbar keine Begrenzung mehr hat, als würde die Manifestation der Darmaktivität bedeuten, dass man dort die ganze Umgebung hineinschieben kann. Eine Bedeutung des Wortes »Raum« ist Leere. Verwendet man das Wort ohne Zusatz, weckt es vorrangig die Vorstellung eines Himmels oder einer Wüste, der enge Raum hingegen ist fast automatisch ein voller Raum. Wenn ich das Verlangen habe, den weiten Horizont zu schauen, versetze ich mich in meiner Fantasie gerne in die Kammer für die Mülleimer, meist die jenes Hauses, wo ich als Kind wohnte. Mit dem Rücken an der Wand lasse ich mich zwischen Mülleimern aus geriffeltem Blech von einem Mann nehmen, der aus diesem Anlass gerade einen Eimer voller Abfälle herunterbringt. Ich habe diese Fantasie noch nie ausgelebt, aber ich besuchte regelmäßig einen Mann, der in einer solchen Rumpelkammer und in einem solchen Dreck lebte, dass die Vorstellung des Mülleimers sicherlich einen Platz in seinem Unterbewussten einnahm. Er war ein Schöngeist, ein klar denkender und gesetzter Theoretiker mit gepflegter Ausdrucksweise. Die Wohnung hatte zwei winzige Zimmer, die Wände waren ganz mit Regalen bedeckt, wahllos voll gestopft mit Büchern und Platten, einige Bretter hatten schon unter dem Gewicht nachgegeben. Das eine Zimmer füllte zu drei Vierteln ein Bett aus, dessen Laken und Überwurf ich nie anders sah als in einem zerknüllten Haufen. Bevor wir uns hinlegten, mussten wir erst Bücher, Zeitungen und Papiere beiseite schieben. Im zweiten Zimmer sah nicht nur der Schreibtisch so aus, als hätte sich ein wütender Dieb an ihm gerächt, weil er nichts gefunden hatte, sondern auch der Boden – ein Dickicht aus umgestürzten Bücher- und Katalogstapeln, Haufen von geöffneten Umschlägen, zerknitterten

Weitere Kostenlose Bücher