Das sexuelle Leben der Catherine M.
nicht, ob es an der mangelnden Gelegenheit lag oder weil er der Meinung war, dies solle im Reich der Fantasie bleiben. Beim Fortschreiten dieses Buches dachte ich über das Thema des Raums nach. Nun sprach ich gerade über das Tier und das Eintauchen in das Tierische der menschlichen Natur. Über welchen Umweg kann ich am besten den Gegensatz zusammenfassen zwischen den Erfahrungen, in denen man vor Freude über sich hinauswächst, und dem Schmutz, der einen klein macht? Vielleicht so: Auf manchen Strecken im Flugzeug sehe ich gerne und lange durchs Fenster auf eine Wüstenlandschaft. Auf Langstreckenflügen werden alle Passagiere, eingeschlossen in der Fahrgastkabine, leicht träge und in der Enge sitzen sie mit ihren Nachbarn im gemeinsamen Mief von feuchten Achselhöhlen und schwitzenden Füßen. Und wenn ich gleichzeitig mit dem Blick einen Bergrücken Sibiriens oder die Wüste Gobi umfangen kann, ist meine Begeisterung umso größer, als ich weniger durch den Gurt als vielmehr durch dieses undurchdringliche Bad, in das ich getaucht bin, in der Bewegung beeinträchtigt bin.
Im Büro
Ich muss den Schnitt zwischen dem Inneren und dem Äußeren meines Körpers zusammennähen und will, ohne ganz klare anale Tendenzen zu zeigen, mein Wohlbefinden in der Befleckung finden: Gewisse Züge meiner sexuellen Orientierung zeigen eine schwache Regression. Ich sprach auch über meine Gewohnheit, den Akt an möglichst vielen vertrauten Orten zu vollziehen. An bestimmten Orten kann das Paar seine Lust unmittelbar befriedigen und dabei neue Stellungen ausprobieren, zwischen Aufzug und Wohnungstür, in der Badewanne oder auf dem Küchentisch. Einige der aufregendsten Orte befinden sich am Arbeitsplatz. Ein Freund, den ich in seinem Büro mit Blick auf die Rue de Rennes besuchte, ließ sich gerne vor der Wand lutschen, die bis unten verglast war, ich kniete im Gegenlicht; das geschäftige Leben im Viertel drang bis zu mir nach oben und trug sicherlich zu meiner Erregung bei. In der Stadt fehlt ein ferner Horizont, also suche ich mir einen Punkt, ein Fenster oder einen Balkon, und stelle mir in der Wohnung dahinter einen verführerischen Schwanz vor. Zu Hause lasse ich einen verschwommenen Blick über den engen Innenhof und die Nachbarfenster schweifen; von meinem ehemaligen Büro am Boulevard Saint-Germain betrachtete ich die massive Fassade des Außenministeriums. Einige Orte schilderte ich schon, auch die prickelnde Angst, den Blicken unfreiwilliger Augenzeugen ausgesetzt zu sein. Dieser prickelnden Angst würde ich den Trieb hinzuzählen, sein Revier zu markieren wie ein Tier. Wie ein Lemure, der mit ein paar Urinspritzern seine Gehege definiert, so lässt ein Mensch ein paar Tropfen Sperma auf eine Treppenstufe oder den Teppichboden im Büro kleckern oder tränkt mit seinem Fluidum eine Abstellkammer, wo jeder seine Sachen hineinräumt. Drückt man dem Ort den Stempel des sexuellen Akts auf, in dem der Körper seine eigenen Grenzen sprengt, macht man sich diesen Ort osmotisch zu Eigen. Und macht aus Teilen eines fremden Territoriums sein eigenes Revier. Sicherlich mischt sich in so eine Aktion zum Teil auch indirekt Provokation oder Aggression anderen gegenüber. Die Freiheit erscheint größer, wenn man es an einem Ort treibt, wo die berufliche Zusammenarbeit Regeln und Grenzen auferlegt, auch wenn man diesen Ort mit den diskretesten und tolerantesten Menschen teilen mag. Ungeachtet dessen, dass man möglicherweise private Dinge von anderen in seine Intimsphäre mit einbezieht – einen Pullover, den jemand vergessen hat und den man als Unterlage für den Hintern benutzt, das Handtuch des Etagenklos, mit dem man sich danach den Schoß wischt –, zieht man die anderen in gewisser Weise ohne ihr Wissen mit hinein. Manche Orte besetzte ich mit dem Gefühl, dass ich dort mehr zu Hause wäre als die anderen, die dort den größten Teil ihrer tätigen Zeit verbringen, denn wo sie ihre Akten und Papiere ausbreiten, hinterließ ich die feuchte Spur meines Hinterns. Trotzdem dachte ich oft, dass vielleicht auch sie ihren Arbeitsplatz schon umdefiniert hatten und dass wir gegenseitig in unseren jeweiligen Spuren vögelten.
In Arbeitsräumen markierte ich systematisch mein sexuelles Revier. Bestimmte Orte sind besonders günstig, zum Beispiel der Repro-Raum oder die fensterlosen großen Lager, wo normalerweise Zeitschriften lagern. Der Repro-Raum kann mit einem Vorhang abgetrennt werden. Es ist so eng, dass man stehen muss, und man
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