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Das sexuelle Leben der Catherine M.

Das sexuelle Leben der Catherine M.

Titel: Das sexuelle Leben der Catherine M. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Millet
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Gast, von dem er nichts wusste, versetzt mich so in Grauen, als würde ich mich mit Lepra anstecken. Doch vor diesem Grauen kommt außerdem eine Hierarchie ins Spiel, nach der ich der Achtung vor der körperlichen Unversehrtheit (allem, was dazu gehört, allem, was ich dazugehörig empfinde …) mehr Bedeutung beimesse als der moralischen Integrität, denn ein Übergriff auf die erste ist für mich unwiderruflicher als ein Übergriff auf die zweite. Ich neige zu dem Gedanken, auch wenn ich dies mit der Zeit relativiert habe, dass man mit einer unsichtbaren Verletzung »leichter zurechtkommt« als mit einer äußeren. Ich bin eben sehr auf Äußerlichkeiten bedacht.
Vertrauen
    Ein Paradoxon dieses Wesenszugs besteht darin, dass Bilder zwar eine äußerst wichtige Rolle in meinem Leben spielen und dass das Auge mich mehr leitet als jedes andere Organ, doch beim Sex passiert das Gegenteil, da werde ich blind. Man kann sagen, dass ich mich in diesem Kontinuum der geschlechtlichen Welt wie eine Zelle in ihrem Gewebe bewege. Die nächtlichen Touren und dass ich umgeben, getragen, durchdrungen werde von Schatten, kommen mir entgegen. Und noch mehr als das – ich kann meinem Begleiter blind folgen. Ich verlasse mich auf ihn, gebe meinen freien Willen auf, seine Präsenz verhindert, dass mir irgendetwas Schlimmes widerfährt. Mit Eric kann ich lange in eine Richtung fahren, die ich nicht kenne, und mich dann auf freiem Feld wiederfinden oder im dritten Untergeschoss eines Parkhauses; ich habe nie Fragen gestellt. Das war für mich im Grunde weniger seltsam, als wenn gar nichts passiert wäre. Ich habe eine böse Erinnerung an den Keller eines marokkanischen Restaurants an der Place Maubert, einem Viertel, wo wir nur selten waren. In einem Gewölbe standen Bänke und niedrige Tische, es war kühl. Wir waren alleine dort, ich mit weitem Ausschnitt und kurzem Rock. Als der Kellner und der Mann, den ich für den Wirt hielt, mit dem Essen kamen, knöpfte Eric meine Bluse noch weiter auf und fuhr sehr nachdrücklich mit der Hand unter meinen Rock. Ich erinnere mich besser an den Blick der beiden Männer, schwer und ohne Wohlwollen, als an ihre kurzen, gezielten Berührungen, zu denen sie mein Begleiter stumm eingeladen hatte. Ich machte dem Warten ein Ende und nahm Erics Schwanz in den Mund. Aber wollte ich mich damit nicht nur von der unfreundlichen Haltung des Personals ablenken? Wir verließen das Restaurant, ohne das Essen zu beenden. War die Stammkundschaft nicht da? Eric kannte das Lokal – hatte er etwa den Empfang überschätzt, den man uns bereiten würde? Die abwartende Haltung der beiden war beunruhigender gewesen, als wenn an einem unpassenden Ort ein ganzer Schwarm Fremder mit steifen Rohren aufgetaucht wäre. Mit Eric war ich mir sicher, dass jeder Mann, den wir unter bestimmten Umständen trafen, auf ein unsichtbares Zeichen von ihm meine Schenkel öffnen und sein Glied hineingleiten lassen konnte. Ich glaube, es gab keine Ausnahme; als wäre Eric ein Universalführer gewesen, der nicht nur erreichte, dass ich auf vertrautem Gebiet Fuß fasste, sondern dass die Welt, Mensch für Mensch, in mich eindrang. Daher war ich an jenem Abend so besorgt.
    Auf unsicherem Gebiet, wenn ich auf Menschen traf, deren soziale Unterschiede durch ihre sexuelle Gleichheit nivelliert wurden, musste ich nie die geringste Bedrohung oder Brutalität fürchten, ich wurde sogar mit einer Aufmerksamkeit behandelt, die ich in einer klassischen Zweierbeziehung nicht immer erlebte … Und die »Angst vor der Polizei«, die gibt es ganz einfach nicht. Zum einen hatte ich kindliches Zutrauen, dass der Mann an meiner Seite die Dinge meistern und für unsere Sicherheit sorgen würde, und in der Tat war mir noch nie etwas passiert. Zum anderen wäre ich lediglich ein wenig verärgert gewesen, wenn man mich in der Öffentlichkeit bei exhibitionistischen Handlungen erwischt hätte, während ich vor Scham vergehe, wenn der Schaffner ein wenig brüsk die Fahrkarte verlangt und ich sie gerade nicht finde. Hätte ein Ordnungshüter meinen Körper entdeckt, wäre es nur der Körper gewesen, den Fremde im Bois genommen hatten, es wäre weniger ein bewohnter Körper gewesen als vielmehr eine Hülle, aus der ich mich zurückgezogen hatte. Sorglosigkeit und Unbesonnenheit tragen unter anderem auch zu meiner Konstanz und Entschlossenheit beim Geschlechtsverkehr bei; sie stehen in Beziehung zur Auflösung meines ganzen Wesens, was ich gerade in jenen Momenten

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