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Das sexuelle Leben der Catherine M.

Das sexuelle Leben der Catherine M.

Titel: Das sexuelle Leben der Catherine M. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Millet
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des Stuhls mit beiden Händen leicht von einer Seite zur anderen neigte.
Tabus
    Ich hatte selten Angst, in flagranti beim Vögeln ertappt zu werden. Auf den vorhergehenden Seiten sprach ich einige Male vom Bewusstsein der Gefahr, die man läuft, wenn man sich an einem ungebührlichen Ort sexuell betätigt, denn dieses Bewusstsein trägt auch zur Lust bei. Doch das Risiko ist immer begrenzt, eingeschränkt durch gewisse Regeln, die man eben kennt; ein häufiger Besucher des Bois kennt die verbotenen Stellen, er weiß, wo es ganz unmöglich ist, er weiß auch, wo es trotzdem geht, und ich habe die Büros immer nur außerhalb der Arbeitszeiten benutzt … Meine Überzeugung, dass die meisten Menschen Sex haben, in welcher Form auch immer, tröstet mich in gewisser Weise und ich denke, dass schon nichts Unangenehmes passieren wird. Wenn ein unfreiwilliger Augenzeuge nicht den Drang hat mitzumachen, sorgen seine eigenen Triebe dafür, dass er sich sittsam zurückhält und nichts weiter unternimmt. Jacques lächelt beunruhigt über den jungen Wanderer, der uns grüßt – wie hätte er reagiert, wenn er uns zwei Minuten früher getroffen hätte, als uns der Gürtel an den Knöcheln hing und die Stöße unserer Körper das Laub am Wegesrand zum Rascheln gebracht hatten wie ein kleines aufgeschrecktes Tier. Dann sage ich: Nichts wäre passiert. Hinzufügen möchte ich, dass ich nur jene fürchte, die ich gut kenne; die Fremden sind mir egal; da bin ich sicherlich nicht die Einzige. Für mich ist es ein Tabu, eine Wohnung zu benutzen, wenn der Mitbewohner nicht da ist und nichts davon weiß. Eines frühen Nachmittags kam Claude nach Hause in die große Altbauwohnung, die wir neu bezogen hatten, und betrat das Gästezimmer neben dem Eingang. Dabei platzte er in einen Fick, dem ich nicht widerstanden hatte. Ich hatte zum ersten Mal außerhalb einer Gruppe Pauls großen Körper, der herrlich schwer auf mir lag, in vollen Zügen genossen. Claude verließ wortlos das Zimmer. Ich sah, wie Paul aufstand, sein breiter Rücken füllte die Tür aus, sein Hintern war im Verhältnis eher klein, er folgte Claude. Durch die Tür hörte ich ihn: »Entschuldige, alter Freund.« Ich war erschrocken über diese angebliche Leichtigkeit, mit der er seiner tatsächlichen Verlegenheit Ausdruck gab. Ich hingegen konnte lange Zeit nicht ohne heftige Schuldgefühle daran denken, obwohl ich schon unter Claudes Augen mit Paul gevögelt hatte und Claude nie über den Vorfall sprach. Ich konnte das Gästezimmer natürlich als neutrales Gebiet betrachten, während das gemeinsame Zimmer, das »Ehebett«, absolutem Verbot unterlag. Einmal führte mich die fatale Empfänglichkeit meines Körpers und meines Willens für die ersten Berührungen eines Mannes – ich erwähnte es schon – an die Schwelle des Zimmers von Jacques und mir. Doch ich konnte mich nicht einmal an den Türpfosten lehnen, so große unbewusste Angst hatte ich, in eine Falle zu gehen. Ich tänzelte auf einem Bein rückwärts, denn der Mann, der vor mir kniete und versuchte, unter dem Rock an meine Möse zu kommen, hatte mein anderes Bein über seine Schulter gelegt. Vor dem Bett verlor ich das Gleichgewicht. Ein ungläubiger Blick traf mich aus dem V meiner Schenkel in der Luft. Ich setzte der Übung ein Ende und stand verschämt auf.
    Dies sind die Grenzsteine einer Moral, die eher dem Aberglauben entspringt als einem klaren Blick auf das, was gut oder schlecht ist. Diese Grenzen senden zunächst nur Signale aus einer Richtung. In einem fremdem Badezimmer am Morgen hatte ich noch nie Skrupel, mit der duftenden Seife einer Abwesenden den Geruch der Nacht zu vertreiben. Ich konnte auch so betrügen, dass es den Betrogenen mehr verletzte, als zu erfahren, dass man sich in seinen Laken gewälzt hat. Ich gestehe dem anderen dieselbe Verbundenheit mit der Umgebung zu wie mir selbst; sie macht aus jedem Gegenstand, der intim ist oder zu einem intimen Zweck gebraucht wurde, eine Art Ausdehnung des Körpers, eine empfindliche Prothese. Berührt man in Abwesenheit eines Menschen ein Ding, das dieser Mensch sonst berührt, vergreift man sich damit auch an diesem Menschen. Meine Zunge konnte bei einer Party eine Möse auslecken, in die jemand gespritzt hatte, der sich vorher an mir aufgegeilt hatte, aber die Vorstellung, mich mit einem Handtuch abzuwischen, das eine Frau heimlich bei mir benutzt und zwischen ihren Schenkeln hindurch gezogen hat, oder dass Jacques dasselbe Handtuch benutzt wie ein

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