Das Siebte Kind - Das Geschenk der Telminamas (German Edition)
mit ihm passieren würde. Nur das Schicksal seiner Familie quälte ihn. Er stieß sein Paddel ins Wasser und schob sein Boot mit aller Kraft vorwärts.
Bald schickte die aufgehende Sonne ihre ersten Strahlen über den Horizont und rings um das kanuartige Schiff herum begann die Luft so sehr zu flimmern, dass manch ein Betrachter wohl auf den ersten flüchtigen Blick annehmen musste, Sid würde eine enorme Hitze von sich geben. Aber es waren die vielen Telminamas, die diese eigenartige Erscheinung hervorriefen.
Bis Mittag änderte sich das Landschaftsbild kaum, nur die Eichen, die immer noch den Uferstreifen säumten, wurden langsam wieder kleiner und bald schon sahen sie genau so aus, wie Sid es aus seiner alten Heimat gewohnt war.
Es wurde ein heißer Sommertag, und immer wieder legte Sid mit seinem Boot am Strand an und ruhte sich im Schatten der Bäume von dem anstrengenden Paddeln aus. Gerade wollte er wieder eine Rast einlegen, da erspähte er wenige Meter vor sich eine breite Flussmündung. Sid fuhr näher heran und ließ sich dann von der Strömung aus dem See der Freundschaft treiben.
Zu beiden Seiten des langsam fließenden Gewässers, auf dem sich Sid nun befand, wuchs mannshohes Schilf, in dessen Schutz hunderte von knallroten Wasservögeln ihre kunstvollen Nester errichtet hatten. Angespannt fuhr Sid den Fluss entlang und fragte sich, was wohl geschehen würde, wenn er die Grenze nicht so einfach überschreiten durfte. Schließlich hatte Maron gesagt, dass für jeden, der sich hier entlang wagte, eigentlich ein ganz neues Leben beginnen würde. Aber er war das Siebte Kind und er hoffte mit jeder Faser seines Herzens, dass für ihn eine Ausnahme von der Regel existierte.
Nach einiger Zeit wurde das Ufer überraschend schnell felsig und das Schilf verschwand. Bald schon schlängelte sich der Fluss des Vergessens an großen, grauen Gesteinsbrocken vorbei, die in ziemlich regelmäßigen Abständen aus dem unfruchtbaren Boden ragten.
Als Sid um eine der vielen Kurven paddelte, verlief der Wasserstrom auf ein Mal schnurgerade, und in nicht allzu weiter Entfernung spannte sich ein mächtiger Felsenbogen vom einen zum anderen Ufer. Ehrfurchtsvoll musterte Sid das eigenartige Naturwunder. Was hatte der Bogen wohl zu bedeuten? Er klammerte sein Paddel fest an sich und ließ sich langsam weitertreiben.
Mit angehaltenem Atem fuhr Sid unter dem Felsengebilde hindurch. Aber es tat sich nichts. Gerade wollte Sid tief Luft holen, da ereigneten sich mehrere Dinge auf einmal: Das Flimmern über ihm verlosch, und ein gewaltiges Rauschen erfüllte die Luft. Auch das Ufer hatte sich schlagartig verändert. Statt nackter Felsen ragten jetzt mächtige Tannen rings um Sid in die Höhe.
Plötzlich war auch das Boot verschwunden, und Sid stürzte völlig unvorbereitet in die kalten Wassermassen, die jetzt nicht mehr langsam dahin strömten, sondern wild um ihn herum tobten. Sid prustete und hielt sich so gut es ging über Wasser, aber der schwere Rucksack auf seinem Rücken zog ihn immer wieder nach unten. Doch das war nicht das Schlimmste. Entsetzt begriff Sid, dass er auf einen tosenden Wasserfall zu trieb. Verzweifelt versuchte er gegen den Sog anzukämpfen, aber es gab kein Entrinnen. Die Wellen packten ihn und schoben ihn erbarmungslos auf die Abrisskante zu. Laut schreiend stürzte Sid in den Abgrund.
Hart schlug er auf. All die kostbare Luft entwich aus seinen gequetschten Lungen. Alles drehte sich um ihn und er wusste nicht mehr, wo oben und unten war. Er musste atmen, doch er schluckte Wasser. Panik ergriff Sid und er schlug wie wild um sich. Endlich gelangte er wieder an die Oberfläche und schnappte begierig nach Luft. Ein heftiger Hustenreiz würgte ihn, dann wurde ihm schlecht. Zum Glück war die Strömung des Flusses hier nicht mehr sehr stark, und mit letzter Kraft erreichte Sid das Ufer. Langsam zog er sich aus dem Wasser. Jetzt erst bemerkte er die beiden kreischenden Frauen, die offensichtlich vor ihm in den nahegelegenen Wald flohen. Sid verstand gar nichts mehr. Erschöpft streifte er seinen durchnässten Rucksack von den Schultern, dann ließ er sich rückwärts in das Ufergras fallen. Keuchend lag er da und erholte sich von dem riesigen Schrecken. Als er so in den sonnigen Himmel über sich blickte, kam ihm das Gefühl, dass er irgendetwas Wichtiges vergessen hatte. Aber was? Aus dem inneren Nebel, der seine Gedanken umgab, tauchten verschwommene Bilder auf. Er fuhr sich mit der Hand an den Kopf und
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