Das siebte Kreuz
hat ja nicht wie ein Spitzel ausgesehen. Der hat ja gar keine Spitzelmanieren. Seine Stimme war ja aufrichtig. Auf welche Weise hätte mich Georg sonst erreichen können? Er hat diesen Mann zu mir geschickt. Er war jetzt fast überzeugt. Was aber hätte er tun sollen? Er hatte ja keine Beweise. Er hätte selbst bei dem geringsten Zweifel den Mann fortschicken müssen. Er sagte sich: Ich bin unschuldig.
Nach menschlichem Ermessen hätte er alles für Georg getan. Erwünschte nicht bloß, wie es oft geschieht, ein solcher zu sein, der alles getan hätte, er war es bereits – in welchen vier Wänden wartete Georg auf Antwort? Versteh mich recht, Georg, ich hab aufs Geratewohl nichts tun dürfen. Dann dachte er wieder: Er kann ja doch ein Spitzel gewesen sein. Der Name des Bootes? Den kann man schon längst herausgebracht haben. Man braucht meinen Namen nicht gewußt zu haben. Und Georg hat ja nichts verraten. – Es klopfte. »Herr Sauer, der Kaffee ist eingeschenkt.« – »Was?« – »Der Kaffee ist eingeschenkt!« Er zuckte mit den Achseln. Er schlüpfte in seine Jacke, an der das Parteiabzeichen steckte und das EKI. Er sah sich um, als suche er etwas. Es gibt Augenblicke, in denen auch der vertrauteste Raum, der zierlichste Hausrat sich in eine Art Schuttabladestelle verwandelt, auf der eine Menge Zeugs herumliegt, das kein Mensch mehr verwerten kann. Er fischte sich seine Aktenmappe heraus mit einem Ausdruck von Widerwillen.
Als die Flurtüre zum zweitenmal knallte, sagte die Frau, die mit dem Kind am Kaffeetisch saß: »Wer war denn das?« – »Doch wohl der Herr Sauer«, sagte das Mädchen im Einschenken. »Das ist unmöglich«, sagte die Frau.
»Er war es doch!« Das ist unmöglich, dachte die Frau. Ohne Kaffee, ohne Abschied. Sie bezwang sich. Das Kind sah sie an. Das Kind sagte nichts. Es hatte sofort den eisigen Luftzug gespürt, der von dem kleinen sommersprossigen Mann abgeströmt war.
Röder war auf die Elektrische aufgesprungen, so daß er gerade noch pünktlich durch die Kontrolle kam. Er hatte keine Sekunde aufgehört, auf Sauer zu fluchen. Seine leisen und lautlosen Flüche auf Sauer gingen erst dann in andersartige über, als er sich gegen Ende der ersten Stunde am Arm versengte. Das war ihm seit Jahr und Tag nicht passiert. – »Rasch zum Sanitäter!« riet ihm Fiedler. »Die zahlen sonst nichts, wenn’s schlimmer wird. Ich übernehm solang deinen Platz.« Röder sagte: »Halt’s Maul!« Fiedler sah ihn erstaunt an unter seiner Schutzbrille. Möller drehte sich rum: »Hallo ihr.«
Paul bediente, den Schmerz verbeißend, seine Röhre. Was braucht der Scheißkerl hallo zu rufen. Wieso ist der denn Vorarbeiter? Zehn Jahre jünger als ich.
Bißchen rascher alt geworden, hatte Georg gesagt. Der wartet jetzt bei mir daheim, wartet und wartet. Wenn nur die Liesel ein paar Dampfnudeln backt. Wenigstens ein paar Dampfnudeln, dachte Paul, während er, scharf auf den Zeiger achtend, mit zusammengekniffenem Mund das Metall in seine Röhre einlaufen ließ. Wenn ihm Fiedler das Zeichen gab, daß die Verschlußkapseln angepreßt waren, öffente er die Röhre, wobei er sein linkes Bein rasch hochzog – eine Bewegung, die gar nicht erforderlich war, die er sich aber von jeher zugelegt hatte. Unter den halbnackten, starken, ausgewachsenen Männern glich der Paul einem kleinen, flinken, alterlosen Kobold. Alle hatten ihn immer gern, weil er Witze machte und Witze vertrug. Zwanzig Jahre habt ihr mich gern gehabt, dachte Röder grimmig, und ihr könnt mich gern haben. Sucht euch ‘nen andern Witzbold aus. – Ich werd verrückt, wenn ich nicht bald was zu trinken kriege. Ist denn das möglich, erst zehn? – Plötzlich trat Beutler neben ihn, legte ihm unglaublich schnell einen Tupf Salbe auf und darüber ein Stückchen Mull. »Danke, danke, Beutler.« – »Nichts zu danken!« Fiedler hat’s ihn geheißen, dachte Röder. Alle sind brav. Und ich will auch nicht weg von hier. Morgen will ich wieder hier stehen. Dieser verdammte Möller, wenn der von mir was wüßte. Und der Beutler? – Wenn der wüßte, wer bei mir zu Haus sitzt? – Beutler ist brav. Na? Bis zu einem gewissen Punkt. Er verbindet mich, aber wenn er sich selbst verbrennen soll? – Fiedler? – Er sah blitzschnell nach ihm hin – doch, der ist anders, dachte er, als ob er plötzlich etwas mit einem Blick an Fiedler entdeckt hätte, der das ganze Jahr durch neben ihm stand.
Immer noch ‘ne gute Stunde,
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