Das siebte Kreuz
Würstchen, zwei Paar, und Kartoffelsalat und Gurken und ein Glas Hochheimer von gestern abend. »Willst du Senf an den Gurkensalat?« – »Mir ist’s nie zu scharf.« Die Eugenie mischt den Salat auf dem Fensterbrett. Weiche, weiße Hände, aber so kahl! »Wird da der Messer nicht doch noch ‘n Ringelchen dranstecken?« – Die Eugenie erwidert ruhig: »Lieber Ernst, es wird Zeit, daß du selbst heiratest. Dann wird dir der Kram von den anderen nicht mehr beständig im Kopf rumgehen.« – »Liebe Eugenie. Wen soll ich heiraten? Die müßt das Herzchen von der Marie haben und die Tanzfüßchen von der Else und das Naschen von der Selma und das Hinterchen von der Sophie und das Sparbüchschen von der Auguste.« Eugenie fängt leise zu lachen an. Was für ein Lachen! Ernst hört andächtig zu. Immer noch klingt es unversehrt in der Eugenie, zart und leise, ohne Falsch. Er möchte gern was erfinden, damit sie noch weiter lacht. Aber es ist ihm ernst geworden. »Ja, die Hauptsache«, sagt er, »die müßt sie von Ihnen haben.« – »Ich bin wirklich über das Alter heraus«, sagte die Eugenie. »Was für ‘ne Hauptsache denn?« – »So was Gelassenes, so – so – so was Freies – wenn man ihr frech kommt, daß da auf einmal gar nichts ist, wo man rankommen kann. Und das, wo man gar nicht mal rankann, so daß man’s gar nicht beschreiben kann, weil man ja gar nicht rankann, das ist eben die Hauptsache.«
»Ach, du spinnst«, sagte Eugenie. Aber sie klemmt eine frische Flasche Hochheimer zwischen die Knie, zieht den Korken raus, gießt dem Ernst ein.
»Bei euch geht’s ja zu wie auf der Hochzeit zu Galiläa. Erst das Saure, dann das Süße. Schimpft denn da dein Messer nicht?« – »Dafür schimpft mein Messer mich nicht«, sagt die Eugenie, »siehst du, und dafür mag ich ihn gern.«
In der Kantine, in den Griesheimer Eisenbahnwerkstätten, packte Hermann zum Bier die Brote aus, die ihm die Else mitgab. Mortadella und Leberwurst, immer dasselbe. Seine verstorbene erste Frau war in belegten Broten erfindungsreicher gewesen. Eine stille, bis auf die klaren Augen unhübsche Frau, aber klug und entschlossen, wohl imstand, auch mal in einer Versammlung aufzustehn und ihre Meinung zu sagen. Wie sie mit ihm diese Zeit ertragen hätte?
Hermann verzehrte das Brot mit den vier abgezirkelten Wurstscheiben, das ihm immer nach solchen Gedanken schmeckte. Dabei horchte er rechts und links.
»Jetzt sind es nur noch zwei, gestern hat man noch drei angegeben.« – »Einer hat eine Frau niedergeschlagen.« – »Warum?« – »Er hat Wäsche vom Seil gestohlen. Da ist sie dazugekommen.« – »Wer hat Wäsche vom Seil gestohlen?« fragte Hermann, obwohl er alles verstanden hatte. – »Einer von den Flüchtlingen.« – »Was für Flüchtlinge?« fragte Hermann. – »Von den Westhofern, von welchen sonst? Er hat sie vor den Leib getreten.« – »Wo soll denn das passiert sein?« fragte Hermann. – »Das ist nicht angegeben worden.« – »Wie kann man das wissen«, sagte jemand, »daß das ein Flüchtling war, war vielleicht irgendein Wäschedieb.« Hermann sah sich den Mann an; war ein älterer Schweißer, einer von denen, die in dem letzten Jahr so verstummt waren, daß man sie aus dem Gedächtnis verlor, selbst wenn man sie täglich wiedersah. »Nun – und wenn er es war!« sagte ein junger, »er kann sich nicht seine Hemden beim Pfüller kaufen. Wenn ihm so ein Weib in die Quere kommt, kann er nicht sagen: Seien Sie so lieb und bügeln Sie mir das.« Hermann sah sich den Mann an, der war erst kurz eingestellt, hat gestern zu ihm gesagt: Mir ist die Hauptsache, wieder einen Lötkolben zwischen die Finger, alles andere wird sich schon finden. – »Der muß doch wie ein wildes Tier sein«, sagte ein dritter, »wo er weiß, wenn man ihn fängt, – schupp –«
Hermann sah sich den dritten an, der mit der Handfläche durch die Luft fuhr. Alle sahen ihn kurz an. Schweigen, nachdem das Wichtigste kommen wird oder nichts mehr. Aber der Junge, der kürzlich eingestellt war, schüttelte alles von sich ab. Er sagte: »Das wird am Sonntag ganz groß werden.« – »Die Mainzer Kollegen, heißt es, die lassen sich nicht lumpen.« – »Wir fahren mindestens bis ins Binger Loch.« – »Und ‘ne Kindergärtnerin auf dem Schiff, was die bieten!« Hermann setzte seine Frage ein, wie man ein Nägelchen einschlägt in etwas Glitschiges, das sich entziehen will: »Welche beiden sind denn noch
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