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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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unserem Land gibt es kein Asyl mehr für flüchtige Verbrecher. Unser Volk ist gesund, Kranke schüttelt es ab, Wahnsinnige schlägt es tot. Keine fünf Tage sind seit dem Ausbruch vergangen. Hier – reißt eure Augen auf, prägt euch das ein.«
     
    Daraufging Fahrenberg in die Baracke zurück. Bunsen ließ die Kolonne der Häftlinge zwei Meter vortreten. Jetzt war nur noch ein schmaler Raum zwischen den Bäumen und der vorderen Reihe. – Während der Ansprache Fahrenbergs und den Kommandos, die ihr folgten, war der Tag vollends gesunken. Rechts und links war die Kolonne von der SA und von der SS eingeklammert. Über und hinter dem Platz war Nebel. Das war die Stunde, in der sich alle verlorengaben. Diejenigen unter den Häftlingen, die an Gott glaubten, dachten, er hätte sie verlassen. Diejenigen unter den Häftlingen, die an gar nichts glaubten, ließen ihr Inneres veröden, wie man ja auch bei lebendigem Leib verfaulen kann. Diejenigen unter den Häftlingen, die an nichts anderes glaubten als an die Kraft, die dem Menschen innewohnt, dachten, daß diese Kraft nur noch in ihnen selbst lebte und ihr Opfer nutzlos geworden sei, und ihr Volk sie vergessen hätte.
     
    Fahrenberg hatte sich hinter den Tisch gesetzt. Von seinem Platz aus konnte er durch das Fenster die Kreuze von hinten sehen, die SA und SS von der Seite, die Kolonne von vorn. Er fing an, seinen Rapport aufzusetzen. Aber auch er war viel zu erregt für solche Geschäfte. Er griff den Hörer, drückte auf einen Knopf, hängte wieder ein. Welcher Tag war heute? Dieser Tag ging freilich bereits zur Neige, immerhin noch drei Tage vor der Frist, die er sich gestellt hatte. Wenn man in vier Tagen sechs gefunden hat, muß man einen in drei Tagen finden. Außerdem war dieser eine bereits umstellt. Schlaf fand der keine Minuten mehr. Leider auch er nicht – Fahrenberg.
     
    In der Baracke war es fast dunkel. Er knipste die Lampe an. Dieses Licht aus Fahrenbergs Fenster warf die
    Schatten der Bäume bis vor die erste Kolonnenreihe. Wie lange standen sie schon? War es schon Nacht? Immer noch kein Befehl, und den angebundenen Männern brannten die Sehnen. Plötzlich schrie einer in der Kolonne in der drittletzten Reihe laut auf – so daß die vier zusammenzuckten gegen die Nägel –, schlug vornüber gegen den Vordermann, den er mitriß, wälzte sich auf dem Boden und brüllte, jetzt schon unter Tritten und Schlägen. Die SA war schon überall.
     
    In diesem Augenblick kamen vom inneren Lager her in Hüten und Gummimänteln die Kommissare Fischer und Overkamp mit ihren Mappen, von einer Ordonnanz begleitet, die ihre Handtaschen trug. – Overkamp hatte seine hiesige Tätigkeit abgeschlossen. Heislers Fahndung hatte zu seiner Anwesenheit in Westhofen keine Beziehung mehr. Zwei Kommandos, und alles stand wie zuvor. Der zusammengebrochene Mann und der Vordermann waren schon abgeschleppt. Ohne nach rechts und nach links zu sehen, gingen die Kommissare in die Kommandantenbaracke, zwischen den Kreuzen und der vorderen Kolonnenreihe, scheinbar ohne zu merken, daß ihre Straße immerhin seltsame Fassaden zeigte. Die beladene Ordonnanz blieb vor der Tür stehen und begaffte sich alles. Kurz danach kamen die beiden wieder heraus und wieder vorbei. Diesmal streifte Overkamps Blick die Bäume. Wallaus Blick traf ihn. Overkamp stockte fast unmerklich. Auf seinem Gesicht entstand ein Ausdruck, der aus Wiedererkennen gemischt war, aus »Bedaure«, aus »Du hast es dir selbst zuzuschreiben«. Vielleicht war in diesem Gemisch sogar ein Körnchen Hochachtung.
     
    Overkamp wußte, daß diese vier Männer verloren waren, sobald er das Lager verließ. Höchstens ließ man sie noch am Leben, bis der siebte eingebracht war. Wenn man nicht vorher ungeschickt war oder auch die Geduld verlor.
     
    Auf dem Tanzplatz hörte man das Anlassen des Motors. Da drehten sich die Herzen um. Von den vier angebundenen Männern war nur noch Wallau imstande, klar zu wissen, daß sie jetzt verloren waren. Aber der Georg, war er denn auch schon gefunden, auch auf dem Weg hierher?
     
    »Dieser Wallau wird als erster dran glauben müssen«, sagte Fischer. Overkamp nickte. Er kannte Fischer schon lange. Sie waren nationale Männer mit allen Kriegsauszeichnungen. Beide hatten sie schon unter dem System dann und wann zusammengearbeitet. Overkarhp war gewöhnt, in seinem Beruf die Methoden anzuwenden, die polizeiüblich sind. Solche Verhöre, bei denen es hart auf hart ging, waren für ihn eine Arbeit

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