Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
Vom Netzwerk:
Wirklich ein teures Vergnügen. Schließlich waren ja diese abkommandierten SA-Burschen Bauernsöhne, die man auf ihren Höfen brauchte.
     
    Die Spezereischulz hatte gesehen, daß der Wurz im Standesamt war. Das sagte sie dem Bräutigam ihrer Nichte, die ihr im Laden half, in dem es alles zu kaufen gab, was ein Dorf unbedingt braucht. Der Bräutigam stammte aus Ziegelhausen, war ein paar Stunden früher als erwartet mit ein paar Krimskramskisten mit dem Auto des Vieharztes angekommen. Er hatte abends beim Wurz das Aufgebot bestellen wollen. Wie nun die Tante sagte: »Er ist im Standesamt«, band er sich seinen Kragen um, und seine Braut, die Gerda, fing an, sich umzuziehen. Der Junge war eher fertig, er überquerte die Straße. Vor der Tür stand der SA-Posten, der kannte ja den Bräutigam. »Heil Hitler!« Der Bräutigam war im gleichen Sturm, nicht weil er ohne Braunhemd nicht leben konnte, sondern weil er in Ruhe arbeiten, heiraten und erben wollte, was ihm sonst ohne Zweifel unmöglich gemacht war. Der SA-Posten sah es ihm an, daß er um das Aufgebot kam, lachte, wie er ans Wohnzimmerfenster klopfte. Aber der Wurz antwortete nicht.
     
    Er hatte vor seinem Schreibtisch gesessen unter dem Hitlerbild. Wie der Schatten gegen das Fenster geflutscht kam, hatte er sich in den Sessel geduckt. Wie es geklopft hatte, war er heruntergerutscht, um den Schreibtisch herumgekrochen hinter die Tür. »Geht doch rein, ihr zwei«, sagte draußen der Posten, da die Gerda auch gekommen war in Rock und Bluse. Der Bräutigam klopfte jetzt an die Tür, drückte, da keiner Herein rief, auf die Klinke, aber der Riegel war zu. Der Posten kam nach, klopfte mit der Faust, schrie: »Ein Aufgebot!«
     
    Jetzt schob Wurz den Riegel zurück, schnaufte, glotzte den Bräutigam an, der seine Papiere ausbreitete. Wurz ermannte sich so weit, daß er sein Sprüchlein hersagen konnte von dem Bauerntum als Wurzel des Volkstums, von der Bedeutung der Familie im nationalsozialistischen Staat und von der Heiligkeit der Rasse. Gerda hörte sich alles ernst an, ihr Bräutigam nickte. Draußen sagte er zu dem Posten: »Schönes Dreckhäufchen mußt du bewachen, Kamerad!«, knipste sich von den Kapuzinerblüten eine ab und steckte sie ins Knopfloch. Dann nahm er seine Braut unter den Arm, und sie gingen die Dorfstraße entlang, gingen um den Dorfplatz herum, um das Hitlereichlein, das noch keine Kinder und Kindeskinder beschatten konnte, sondern höchstens ein paar Schnecken und Spatzen, gingen zum Pfarrhaus, stellten sich dort als Aufgebotene vor.
     
    Aldinger hatte das vorletzte Hügelchen hinter sich. Es hieß der Buxberg. Er trottete jetzt sehr langsam, wie ein Mensch, der todmüde ist, aber weiß, daß es für ihn keine Rast gibt. Er sah sich nicht mehr um, er kannte hier jeden Fleck. Zwischen die letzten Felder von Ziegelhausen mischten sich schon einzelne Felder von Buchenbach. Wenn auch damals die Flurbereinigung viel von sich reden gemacht hatte, von hier oben aus war das Land noch immer bewürfelt wie die geflickten Schürzen der Bauernkinder. Aldinger erklomm das Hügelchen mit unendlicher Langsamkeit. Sein Blick war unbestimmt, aber nicht von dumpfer, fahriger Unbestimmtheit, sondern im Widerschein eines unerwarteten, unbestimmbaren Zieles.
     
    Drunten in Buchenbach wurde die Wache wie immer um diese Zeit abgelöst. Auch der Posten vor Wurzens Haus war abgelöst worden. Er ging ins Wirtshaus, wo zwei abgelöste Kameraden dazukamen. Alle drei hofften, auf dem Rückweg vom Pfarrer käme der Kamerad Bräutigam und ließe eins springen. Wurz war müd vom Mittag und von dem Schrecken, den er erlebt hatte. Er legte seinen Kopf auf den Schreibtisch, auf die Papiere des Brautpaares, ihre Stammbäume und Gesundheitsatteste.
     
    Aldingers Frau hatte ihren Kindern das Essen aufs Feld gebracht. Alle hatten draußen zusammen gegessen. Früher hatte es bei den Aldingers manchmal Mißhelligkeiten gegeben, wie in allen Familien. Seit der Verhaftung des Alten hatte sich die Familie in sich zusammengezogen. Nicht nur nach außen, auch unter sich sprachen sie kaum mehr ein lautes Wort, nicht einmal über den Abwesenden.
     
    Einer der Posten war laut Befehl, wie immer, der Frau nachgegangen, hatte sie scharf im Auge behalten. Jetzt passierte Frau Aldinger, eine schwarzgekleidete Bäuerin, hager wie ein Stecken, die zwei Posten am Ausgang des Dorfes. Sie sah nicht nach rechts, nicht nach links, als ob das alles mit ihr nichts zu tun hätte. Auch den Posten vor

Weitere Kostenlose Bücher