Das siebte Kreuz
Feuer. So halfen sie noch das Wasser kochen, die zweite Bütte, mit der man den Toten endlich sauber bekam, und noch den Rest behielt, um sich selbst zu waschen, bevor man sich sonntäglich umzog.
Jenes Früher, in das der Aldinger hätte zurückkehren wollen, öffnete breit seine Tore. Man legte ihn jetzt auf sein eigenes Bett. Trauergäste fanden sich ein, und man reichte jedem ein wenig Gebäck. Die Tante der Gerda öffnete eilig die Krimskramskisten, die ihr der Bräutigam auf dem Auto des Vieharztes geliefert hatte: denn j etzt brauchten die Aldingers sicher Seife, schwarzes Band, Kerzen.
Alles war jetzt in Ordnung, da es dem Toten gelungen war, die Umzingelung des Dorfes zu überlisten.
Fahrenberg wurde Meldung erstattet: Sechster Flüchtling gefunden. Er war gefunden und tot. Wie? Das ging Westhofen jetzt nichts mehr an. Das war Sache des lieben Gottes und der Instanzen der Bauernschaft seines Gaues und des Oberbürgermeisters.
Fahrenberg trat nach der Meldung heraus auf den Platz, den sie den Tanzplatz nannten. Die SA und SS, soweit sie zu diesem Dienst gehörte, war schon angetreten. Die Kommandos knarrten. Todmüde, schwer von Schmutz und Verzweiflung, zog die Kolonne der Häftlinge doch so rasch und leise nach dem Befehl wie ein Wind aus abgeschiedenen Seelen. Zwei unversehrt gebliebene Platanen rechts von der Tür der Kommandantenbaracke glänzten rot vom Herbst und vom letzten Licht; denn der Tag ging zu Ende, und vom Ried her zog der Nebel auf den verfluchten Ort. Bunsen stand vor seiner SS mit seinem Cherubsgesicht, als erwarte er die Befehle seines Schöpfers. Von den zehn oder zwölf Platanen, die früher links von der Tür gestanden hatten, waren noch gestern alle gefällt worden bis auf die sieben, die man brauchte. Zillich vor seiner SA befahl, die vier lebenden Flüchtlinge anzubinden. Jeden Abend, wenn dieser Befehl ertönte, lief ein Zittern durch die Häftlinge, inwendig und schwach, wie das letzte Frösteln vor dem Erstarren. Denn die Wachsamkeit der SS erlaubte keinem, auch nur ein Glied zu rühren.
Aber die vier an die Bäume gebundenen Männer zitterten nicht. Nicht einmal Füllgrabe zitterte. Er starrte geradeaus, mit offenem Mund, als hätte der Tod selbst ihn angeschrien, sich endlich anständig aufzuführen. Auch auf seinem Gesicht lag ein Schimmer jenes Lichtes, mit dem verglichen Overkamps Polizeilampe nur ein elendes Funzelchen war. Pelzer hatte seine Augen geschlossen, sein Gesicht hatte alle Zartheit verloren, alle Zagheit und Schwäche, es war kühn und scharf geworden. Seine Gedanken waren gesammelt, nicht zu Zweifeln und nicht zu Ausflüchten, sondern um das Unvermeidliche zu begreifen. Und er spürte auch, daß Wallau neben ihm stand. Auf der anderen Seite von Wallau stand jener Albert, den man sofort beim Ausbruch niedergeschlagen hatte. Er war wieder zusammengeflickt worden auf Overkamps Wunsch, wenn auch nur notdürftig. Auch er zitterte nicht. Auch er hatte längst ausgezittert. Vor acht Monaten, vor der Reichsgrenze, in seinem mit Devisen gefütterten Rock hatte er sich durch Zittern verraten. Jetzt hing er mehr als er stand auf seinem seltsamen Ehrenplatz, den er sich nie hatte träumen lassen, rechts von Wallau, und sein feuchtes Gesicht war mit Licht befleckt. Wallau allein hatte Blick in den Augen. Wenn er vor die Kreuze geführt wurde, machte sein fast versteinertes Herz einen frischen Sprung. War Georg dabei? Was er jetzt anstarrte, war nicht der Tod, sondern die Kolonne der Häftlinge. Ja, er entdeckte sogar unter den alten Gesichtern ein neues. Dieses Gesicht gehörte einem, der im Spital gelegen hatte. Es war der Schenk, bei dem Röder am selben Morgen gewesen war, um ein Quartier für den Georg zu beschaffen.
Jetzt trat Fahrenberg vor. Er befahl dem Zillich, aus zwei Bäumen die Nägel herauszuziehen. Kahl und leer standen die beiden Bäume, zwei echte Kreuze für Gräber. Jetzt gab es nur noch einen benagelten Baum, der unbesetzt war, ganz links neben Füllgrabe. »Der sechste Flüchtling gefunden!« verkündete Fahrenberg. »August Aldinger. Tot, wie ihr seht! Seinen Tod hat er sich selbst zuzuschreiben. Auf den siebenten brauchen wir nicht mehr lange zu warten, denn der ist unterwegs. Der nationalsozialistische Staat verfolgt unerbittlich jeden, der sich gegen die Volksgemeinschaft vergangen hat, er schützt, was des Schutzes wert ist, er bestraft, was Strafe verdient, er vertilgt, was wert ist, vertilgt zu werden. In
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