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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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ihrem Haus schien sie nicht wahrzunehmen. Ebensogut hätte der dürre Kirschbaum im Nachbargarten den Befehl haben können, sie zu belauern.
     
    Aldinger war jetzt oben angelangt. Dieses Oben war nicht sehr hoch für die Masse gewöhnlicher junger Menschen. Immerhin, man sah das Dorf unter sich liegen. Ein paar Meter lang war der Weg mit Haselnußsträuchern gesäumt. Aldinger setzte sich zwischen die Sträucher. Er saß eine Weile ganz ruhig, halb beschattet, Stücke von Dächern und Feldern blinkten zwischen den Zweigen. Er war fast am Einschlafen, da fuhr er leicht zusammen. Er stand auf oder versuchte aufzustehen. Er warf einen Blick auf das Tal. Aber das Tal zeigte sich nicht in dem gewöhnlichen Mittagsglanz, in dem süßen, alltäglichen Licht. Eine kühle, gestrenge Helligkeit lag auf dem Dorf, Glanz und Wind in einem, daß es auf einmal so deutlich wie nie war und eben dadurch wieder entfremdet. Dann fiel ein tiefer Schatten über das Land.
     
    Später am Nachmittag kamen zwei Bauernkinder, um Nüsse zu pflücken. Sie kreischten. Sie rannten zu ihren Eltern ins Feld. Der Vater sah sich den Mann an. Er schickte eines der Kinder ins Nachbarfeld nach dem Bauer Wolbert. Der Wolbert sagte: »Ei, das ist doch der Aldinger!« – Da erkannte ihn auch der erste Bauer. Groß und klein stand in dem Gebüsch und betrachtete sich den Toten. Schließlich machten die zwei eine Bahre aus ein paar Stecken.
     
    Sie trugen ihn ins Dorf hinein, an den Wachtposten vorbei. »Wen bringt ihr denn da?« – »Den Aldinger. Wir haben ihn gefunden.« Sie trugen ihn, wohin auch sonst, in sein eigenes Haus. Zu dem Posten vor Aldingers Haustür sagten sie auch: »Wir haben ihn gefunden.« Und der Posten war viel zu verdutzt, um sie anzuhalten.
     
    Wie man den Mann auf einmal brachte, wurden der Frau die Knie weich. Aber sie faßte sich, wie sie sich auch hätte fassen müssen, wenn man ihn tot vom Acker gebracht hätte. Vor der Haustür hatten sich schon die Nachbarn angesammelt, auch der Posten, der die Haustür bewacht hatte, und die zwei frischen Posten am Ausgang der Dorfgasse und auch die drei SA-Leute, die im Wirtshaus gesessen hatten, und das Brautpaar, das vom Pfarrer kam. Nur am anderen Ende der Dorfgasse waren die Posten stehengeblieben, da sie ja noch von nichts etwas wußten, und um das äußere Dorf herum, wo man sie aufgepflanzt hatte, um das Eindringen Aldingers zu verhindern. Auch vor Wurzens Tür stand zunächst noch der Posten, um ihn vor der Rache zu schützen.
     
    Die Frau Aldinger deckte das Bett auf, das die ganze Zeit über frisch bezogen geblieben war. Wie man aber den Mann hereinbrachte und sie sah, wie verwildert er war und schmutzig, ließ sie ihn auf ihr eigenes Bett legen. Sie stellte zunächst Wasser auf. Dann wurde das älteste Enkelkind fortgeschickt, um die Familie vom Acker zu holen.
     
    In der Tür machten die Leute dem Kind Platz, das bereits den zusammengekniffenen Mund und die niedergeschlagenen Augen von Menschen hatte, in deren Haus ein Toter liegt. Bald darauf kam das Kind zurück mit seinen Eltern und Onkeln und Tanten. Auf den Gesichtern der Söhne lag Verachtung für die Ansammlung Neugieriger und, sobald sie in ihren vier Wänden waren, eine finstere Trauer. Bald aber, da sich der Tote verhielt wie alle Toten, war ihre Trauer die gewöhnliche, maßvolle Trauer guter Söhne um einen guten Vater.
     
    Überhaupt kam jetzt alles in Ordnung. Wer ins Haus kam, schrie nicht mehr Heil Hitler und schwenkte nicht mehr den Arm, sondern zog seine Mütze vom Kopf und gab den Menschen die Hand. Die SA-Wachen, die ums Haar einen alten Mann gescheucht hätten und totgeschlagen, kehrten für diesmal mit schuldlosen Händen und unbeschwertem Gewissen auf ihre Felder zurück. Wer an dem Fenster des Wurz vorbeiging, verzog den Mund. Keiner hielt seine Verachtung geheim, weil er fürchtete, für sich oder einen der Seinen einen Vorteil zu verscherzen. Vielmehr fragte man sich, wieso gerade der Wurz gerade die Macht hatte. Und man sah ihn jetzt nicht mehr von Macht umglänzt, sondern wie man ihn die vier Tage gesehen hatte, zitternd in nassen Hosen. Auch das Domänendorf, soweit es zuständig war für die Auslese, sah man, wenn es einem jetzt einfiel, mit anderen Augen. Jeder Steuererlaß wäre mehr wert gewesen! Dafür dem Wurz krummbuckeln?
     
    Beide Schwiegertöchter halfen der Frau Aldinger, ihren Mann zu waschen, ihm sein Haar zu stutzen, gute Sachen anzuziehen. Die Sträflingslumpen stopfte man ins

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