Das siebte Kreuz
wie jede andere. Sie bereitete ihm keine Spur von Belustigung, geschweige denn Lust. All die Menschen, nach denen er fahnden mußte, hatte er immer für Feinde der Ordnung gehalten, so wie er sich die Ordnung vorstellte. Auch noch heute hielt er die Menschen, nach denen er fahndete, für die Feinde der Ordnung, wie er sich Ordnung vorstellte. Soweit war alles noch klar. Unklar wurden die Dinge erst, wenn er sich überlegte, für wen er da eigentlich arbeitete.
Aber Overkamp riß seine Gedanken von Westhofen ab. – Blieb noch die Sache Heisler. Er sah auf die Uhr. In siebzig Minuten werden sie in Frankfurt erwartet. Wegen dem Nebel fuhr ihr Auto jetzt nur auf vierzig. Overkamp wischte die Scheibe ab. Er erspähte einen Dorfausgang im Schein der Laterne. »He! Halt!« schrie er plötzlich.
»Raus, Fischer! Haben Sie dieses Jahr schon Most getrunken?« Wie sie herauskletterten und im Dunst standen auf dem einsamen, frischen Land, wich auch von ihnen die Spannung der Arbeit und der Beklemmung, über die sie jetzt keine Lust hatten, nachzudenken. Sie traten in dieselbe Dorfwirtschaft ein, in der Mettenheimer seine Tochter Elli erwartet hatte, als sie für Westhofen plötzlich eine Besuchserlaubnis bekam, die ihr gar nicht lieb war.
Als Paul Röder nach der Arbeit heraufkam, brauchte Georg erst gar nicht zu fragen. Pauls Gesicht war schon anzumerken, wie die Verstecksuche verlaufen war.
Liesel wartete auf den Erfolg ihrer Dampfnudeln, auf Ah! und Mmm! Aber die Männer kauten daran herum, als seien das Kohlrübenschnitzel. »Bist du krank?« fragte Liesel den Paul. – »Warum krank? Ach, ja, ich hab Pech gehabt.« Er zeigte den versengten Arm. Liesel war beinah froh, daß auf einmal ein Grund da war für das undankbare stumme Gekaue. Sie beguckte sich die verbrannte Stelle. Sie war von klein auf an allerlei Arbeitsschäden in Familien gewöhnt. Sie holte irgendein Salbentöpfchen. Plötzlich sagte Georg: »Mein Verband ist schon nicht mehr nötig. Wenn du schon rumdokterst, Liesel, gib mir ein Pflaster.«
Paul sah schweigend zu, wie die Frau ohne viel Erstaunen die Mullbinde aufrollte. Seine größeren Kinder guckten über Georgs Lehne zu. Georg traf ein Blick. – Köders kleine blitzblaue Augen blickten streng und kalt. »Du hast noch Glück gehabt, Georg«, sagte Liesel, »daß dir die Splitter nicht in die Augen sind.«
»Glück! Glück!« sagte Georg. Er besah seine innere Handfläche. Liesel hatte sie ziemlich geschickt verpflastert und nur den Daumen umwickelt. Wenn er die Hand richtig hielt, sah sie gesund aus. Liesel schrie: »Halt! Nein!« Sie fügte hinzu: »Das hätte man noch waschen können.« Georg war aufgestanden, hatte das alte Verbandszeug rasch in den Herd gestopft, in dem von der Dampfnudelbäckerei noch etwas Glut war. Röder hatte seine Bewegung reglos verfolgt. – »Pfui Teufel!« sagte die Liesel. Sie riß das Fenster auf, und ein Fähnlein stinkenden Rauches wehte abermals in der Luft einer Stadt, Luft zu Luft, Rauch zu Rauch. – Jetzt kann der Arzt ruhig schlafen. Was für ein Wagnis war das, zu ihm hinaufzugehen! Wie seine Hände geschickt waren! Herz und Verstand in den Händen!
»Du, Paul«, sagte Georg ganz munter, »kannst du dich noch an den Kleidermoritz erinnern?« – »Ja«, sagte Paul. – »Kannst du dich noch erinnern, wie wir den alten Mann zu Tod geärgert haben, bis er sich beschwerte bei deinem Vater, und dein Vater dich verhaute und er stand dabei und schrie: >Nicht auf den Kopf, Herr Röder, sonst wird er dumm, aufs Arsch, aufs Arsch !< Eigentlich schön von dem Mann. Was?« – »Ja, sehr schön. Dich hat dein Vater verkehrt verhauen«, sagte Paul, »sonst wärst du gescheiter.«
Drei Minuten lang war es ihnen leichter gewesen. Jetzt legten sich ihnen wieder die Dinge, so wie sie waren, aufs Herz in ihrer unwiderruflichen, unerträglichen Schwere. »Paul«, sagte Liesel ängstlich. Warum stierte er vor sich hin? Auf den Georg gab sie gar nicht acht. Während sie ihren Tisch abräumte, warf sie immer schnell einen Blick auf den Paul und noch schnell einen Blick durch die Tür, als sie die Kinder zu Bett brachte.
»Schorsch«, sagte Paul, als die Tür hinter ihr zu war, »das ist jetzt wie es ist. Man muß etwas Klügeres aushecken. Diese Nacht mußt du eben noch hier schlafen.«
Georg sagte: »Bist du dir klar, daß inzwischen auf allen Revieren mein Bild liegt? Daß man es allen Blockwarten zeigt? Und die Blockwarte
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