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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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Fiedler in dem Finkenhöfchen, das nach dem Wirt getauft war, dem alten Fink. Er sah durch das Fenster auf die Straße. Schon Laternenlicht! Fiedler hatte um sechs hier sein wollen. Aber er hatte befohlen, Paul möchte auf jeden Fall warten.
     
    In dem Fenster der Wirtsstube standen zwei Flaschen aus Kork geschnitten in der Form von bemützten Zwergen. Diese Flaschen hatten schon im selben Fenster gestanden, wie er als Kind mit seinem Vater ins Finkenhöfchen gekommen war. Was sich die Menschen für Krimskrams ausgeheckt haben, dachte Paul von den Flaschen, als gehöre er selbst nicht mehr in jene Welt, in der sich die Menschen Krimskrams aushecken. Er dachte: Mein Vater, der hat’s geschafft. – Pauls Vater, klein wie der Sohn, war schon mit sechsundvierzig gestorben – an den Folgen einer im Krieg erwischten Malaria. »Was ich noch mal im Leben möcht«, hatte sein Vater gesagt, »nach Amerongen in Holland fahren und dem Wilhelm vor seiner Tür en Häufchen machen.«
     
    Jetzt war’s am besten, dachte der Paul, ich könnte Schweinerippchen mit Kraut essen. Aber ich kann doch der Lisbeth nicht auch noch das antun, daß ich ihr Sonntagsgeld verfreß. – Er bestellte sich noch mal ein Helles. Jemand fragte im Durchgehen: »Bist du noch oder schon hier?« Da kommt der Fiedler, durchfuhr es den Paul, und er hat niemand gefunden. Fiedlers Gesicht war streng und angespannt. Er schien Paul nicht gleich zu bemerken. Aber während er an der Theke herumstand, spürte er Pauls beharrlichen Blick. Erst im Herausgehen klopfte er Paul auf die Schulter, setzte sich beiläufig bloß auf die Kante des nächsten Stuhls: »Acht Uhr fünfzehn vor der Vorstellung neben dem Olympia-Kino, da wo alle parken, ein blauer kleiner Opel. Hier ist die Nummer. Er soll sofort einsteigen, er wird erwartet. – Jetzt paß mal auf, ich will wissen, ob alles klappt. Wenn meine Frau zu euch raufkommt, was für ‘nen Grund kann sie deiner Lisbeth angeben?« Paul zog erst jetzt den Blick von ihm ab. Er sah vor sich hin. Dann sagte er: »Das Rezept für die Dampfnudeln.« – »Sag deiner Frau, du hast mir ‘ne kalte Dampfnudel zu kosten gegeben. Wenn meine Frau zu euch kommt und holt das Rezept, und mit dem Heisler klappt alles, dann laß uns guten Appetit wünschen, wenn aber irgendwas nicht klappt, dann laß uns ausrichten, wir sollen uns den Magen nicht verderben.« Paul sagte: »Jetzt geh ich gleich zu dem Georg. Schick deine Frau erst in zwei Stunden.«
     
    Fiedler stand sofort auf und ging weg. Seine Hand hatte noch einmal leicht auf Röders Schulter gedrückt. Paul saß noch eine Weile still und reglos. Er spürte den schwachen Druck von Fiedlers Hand, jene leiseste Andeutung wortloser Hochachtung, brüderlichen Vertrauens, eine Art von Berührung, die tiefer in den Menschen hineingeht, als welche Zärtlichkeit immer. Er begriff jetzt erst ganz die Tragweite der Nachricht, die ihm Fiedler gebracht hatte. – Am Nachbartisch drehte einer Zigaretten. »Gib mir so’n Ding, Kamerad.«
     
    In der Arbeitslosigkeit hatte er irgendein Mistzeug geraucht, um seinen Hunger zu beschwichtigen, dann hatte er Lisbeth gehorcht und nicht mehr geraucht, um das Geld einzusparen. Jetzt zerkrümelte ihm das schlecht gedrehte Ding zwischen den Fingern.
     
    Er sprang auf. Er hatte keine Geduld, an der Umsteigestelle zu warten, er zog zu Fuß in die Stadt hinein. Die Straßen und Menschen stoben rechts und links von ihm weg, er hatte immerhin seinen Anteil am Lauf der Ereignisse. Er wartete in der dunklen Torfahrt, bis er ruhig wurde. Er drückte sich dicht an die Wand, um eine Gesellschaft Wirtshausgänger an sich vorbeizulassen. Aus der Gasse kam Samstagabendlärm. Auch er hatte immer an diesem Abend versucht, seiner Liesel ins Wirtshaus auszurücken, da man ja den Sonntag über genug zusammen war. Auch der Hof war noch voller als gestern. Er erblickte Georg, der auf dem Boden hockte und im Laternenlicht hämmerte. Es war um dieselbe Stunde wie gestern abend, als er ihn hergebracht hatte. Das Kammerfenster in der Garage war hell; die Frau war also da.
     
    Georg bückte sich tiefer, wie immer, wenn Schritte sich seinem Rücken näherten. Er hämmerte auf sein Blech – was längst geradegeklopft war, war wieder verbogen – und er klopfte es wieder gerade. Er fühlte, daß jemand hinter ihm stehenblieb. »He – Georg«, er sah auf. Er sah rasch wieder auf den Boden und machte aus lockerem Handgelenk zwei leichte Hammerschläge. In Pauls Gesicht war etwas

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