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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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enthoben, der Ausschließlichkeit seines Untergangs. Bunsen sah das Aufblitzen in Wallaus Augen. Seine Faust schlug zu. Wallau schlug gegen die Wand.
     
    Bunsen sagte, bald leise, bald laut: »Uhlenhaut! Achtung! – Also, wie hieß sie? Name! – Schon vergessen? Werden wir gleich haben!«
     
    Während Zillich gegen Westhofen über die Felder fuhr, lag Wallau schon auf dem Boden der Baracke. Ihm aber war es, als ob nicht sein Kopf zerspränge, sondern die dünne, brüchige Welt.
     
    »Name! Wie hieß sie? – Hopp! Elsa? – Hopp! Erna? – Hopp! Martha? – Hopp! Frieda? – Hopp! Amalie? – Hopp! Leni? –«
     
    Leni – Leni in Niederrad, warum hat’s mir der Schorsch bloß gesagt? Warum fällt mir das eben ein? Warum geht das Hopphopp nicht weiter? Hab ich etwas gesagt? Ist’s mir von selbst aus dem Mund? »Hopp! Katharina? – Hopp! Alma? – Hopp! - Mach mal ‘ne Pause und setz ihn hoch!«
     
    Bunsen sah durch die Tür heraus, und die Funken in seinen Augen entzündeten ähnliche Funken in all den Augenpaaren, die auf ihn warteten. Er erblickte Zillich, er winkte ihn mit der Hand herein.
     
    Wallau saß blutüberströmt gegen die Wand. Zillich sah von der Tür aus ruhig zu ihm hin. Etwas Licht über Zillichs Schulter, dieses winzige, blaue Herbsteck, belehrte Wallau zum letztenmal, daß das Gefüge der Welt festhielt und festhalten würde, für welche Kämpfe auch immer. Zillich stand einen Augenblick starr da. Noch nie hatte ihm jemand mit soviel Ruhe entgegengesehen, soviel Ebenbürtigkeit.
     
    Das ist der Tod, dachte Wallau. Zillich zog langsam die Tür hinter sich zu.
     
    Es war sechs Uhr nachmittags. Sonst war niemand dabei. Aber schon am Montag früh lief ein Zettel um in den Opelner Werken bei Mannheim, wo Wallau in alten Zeiten Betriebsrat war: Unser ehemaliger Betriebsrat, der Abgeordnete Ernst Wallau, ist am Samstag sechs Uhr in Westhofen erschlagen worden. Dieser Mord wird am Tage des Gerichts schwer zu Buche stehen.
     
     
     
    Durch die Kolonne der Häftlinge lief ein sichtbares Zittern, als sie am Samstagabend merkten, daß Wallaus Baum leer war. Der bleischwere Druck über dem Lager, Zillichs plötzliche Rückkehr, ein verhaltener Lärm, das Zusammenziehen der SA, all das hatte sie schon auf die Wahrheit vorbereitet. Die Gefangenen hätten jetzt nicht mehr gehorchen können, selbst wenn sie ihr Leben verscherzt hätten. – Ein paar brachen in der Kolonne zusammen, dieser und jener trat falsch in der Reihe, winzige Unregelmäßigkeiten, die alle zusammen die starre Ordnung brachen. Die unaufhörlichen Drohungen, die immer schärferen Strafen, das Getobe der SA, die jetzt jeden Abend in die Sträflingsbaracken einbrach, konnten niemand mehr einschüchtern, weil sich ja jeder bereits verloren gab.
     
    Mit dem Tod Wallaus war auch in der SS und in der SA etwas eingerissen, was sie ein paar Tage lang noch verhindert hatte, das Letzte zu tun. Dieses Letzte war die Ermordung Wallaus gewesen. Jetzt kam erst all das Unvorstellbare, Ungeahnte, das nach dem Letzten kommt. Pelzer, Albert und Füllgrabe wurden nicht so rasch wie Wallau ermordet, man fing erst langsam an. Uhlenhaut, dem die Besondere Kolonne jetzt unterstand, wollte zeigen, daß er ein zweiter Zillich war. Zillich wollte zeigen, daß er noch immer Zillich war. Fahrenberg wollte zeigen, daß er noch immer die Befehlsgewalt über das Lager hatte.
     
    Es gab aber auch schon andere Stimmen unter den Mächtigen von Westhofen. Diese fanden, die Zustände seien unerträglich. Fahrenberg müsse so schnell wie möglich abgesetzt werden, mit ihm müsse die Clique verschwinden, die er teils mitgebracht, teils um sich geschart hatte. Die so urteilten, wollten nicht, daß die Hölle aufhören sollte und die Gerechtigkeit beginnen, sondern sie wollten, daß auch in der Hölle Ordnung sei.
     
    Fahrenberg freilich, wie wild er sich auch gebärdete, hatte Wallaus Ermordung und alles, was folgte, mehr geduldet als befohlen. Seine Gedanken hatten sich längst auf einen einzelnen Menschen geworfen, und sie konnten von diesem Menschen nicht ablassen, bis dieser selbst nicht mehr da war. Fahrenberg schlief und aß nicht mehr, als sei er selbst der Verfolgte. Was mit dem Heisler geschehen sollte, wenn man ihn lebend herbeibrachte, das war das einzige, was er völlig selbständig anordnete mit allen Einzelheiten.
     
     
     

8
     
    »Feierabend, Herr Mettenheimer«, rief der Erste Tapezierer Fritz Schulz in einem frischen, ermunternden Tonfall.

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