Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
Vom Netzwerk:
Zähnen und seiner gesunden Hand zusammen. Er schob es zwischen eine Platte und einen Pfeiler. Am ganzen Körper gespannt, mit glühenden Augen, wartete er auf den Augenblick, da der Küster aufschließen möge.
     
     
     

2
     
    Währenddessen begrüßte der Schäfer Ernst seine Nelli mit einem tiefen Brustton, der dem Hund so vertraut war, daß er vor Freude zitterte. »Nelli«, sagte der Schäfer Ernst, »sie ist also doch nicht gekommen, die Sophie, das dumme Ding. Nelli, sie weiß nicht, wo sie ihr Glück zu finden hat. Nelli, wir sind aber dann doch eingeschlafen. Nelli, es hat uns doch nicht gebrochen.«
     
    Bei den Mangolds war alles noch still, aber in Marnets Stall klapperte schon jemand herum. Ernst nahm sein Handtuch und seinen Wachstuchbeutel, in dem er seine Rasier- und Waschsachen aufbewahrte, und ging zu Marnets Pumpe. Schaudernd vor Kälte und Behagen seifte er sich und rieb sich Hals und Brust und putzte sich die Zähne. Dann hing er seinen Taschenspiegel an den Gartenzaun und fing an, sich zu rasieren. »Hast du ein bißchen warmes Wasser für mich?« fragte er die Auguste, die er im Spiegel mit ihren Milcheimern ankommen sah. »Ja, komm nur rein«, sagte Auguste.
     
    »Wirklich, du bist so weich in der Ehe geworden, Auguste«, sagte Ernst, »du warst mir früher zu kratzbürstig.«
     
    »Du hast schon in aller Früh Babbelwasser getrunken«, sagte Auguste.
     
    »Nicht mal Kaffee«, sagte Ernst, »meine Thermosflasche ist kaputt.«
     
    Weit weg, drunten am Main, im dicken Nebel, gingen unter Brummeln und Gähnen die Lampen an. Aus der Hoftür des äußersten Hauses von Liebach trat ein fünfzehn-, sechzehnjähriges Mädchen, ein Taschentuch um den Kopf gebunden. Dieses Taschentuch war so weiß, daß ihre feinen Brauen darunter besonders deutlich waren. Mit einem Ausdruck ruhiger Erwartung, daß kein Zweifel bestünde und der erwartete Mensch jeden Augenblick auf dem Weg hinter der Hofmauer auftauchen möchte wie jeden Morgen, sah sie nicht einmal dem Erwarteten entgegen, sondern geradeaus vor das Tor. Jetzt trat auch wirklich der junge Helwig, jener Fritz Helwig aus der Darre-Schule, hinter der Mauer heraus in das Tor hinein. Ohne Ausruf, fast ohne Lächeln, hob das Mädchen seine Arme. Sie umarmten sich und küßten sich, während aus einem Küchenfenster zwei Weiber, die Großmutter des Mädchens und eine ältliche Kusine, ihnen zusahen, ohne Mißgunst oder Zustimmung, wie man sich Sachen besieht, die täglich an die Reihe kommen. Denn die zwei Kinder galten trotz ihrer Jugend als verlobt. Heute nahm Helwig, nachdem der Kuß vorbei war, ihr Gesicht zwischen seine beiden Hände. Sie spielten das Spiel, wer zuerst lacht, aber es war ihnen beiden nicht recht zum Lachen, sie sahen einander nur in die Augen. Da sie, wie fast alle im Dorf, entfernt miteinander verwandt waren, hatten sie alle beide die gleichen Augen, von einem durchsichtigeren, helleren Braun, als es sonst in der Gegend üblich ist. Beider Augen waren jetzt ohne Blinzeln, tief und klar und, wie man sagt, unschuldig. Und man sagt es wohl richtig, denn wie sollte man besser ausdrücken, was diesen Augen eigentümlich war. Noch hatte keine Schuld ihre Helligkeit getrübt, keine Ahnung, daß das Herz unter dem Druck des Lebens sich auf allerlei einlassen muß, was es dann später vorgibt, nicht begriffen zu haben – aber warum hat es dann so bang und hastig geschlagen? –, noch kein Leid, außer daß es noch lang zur Hochzeit ist. In solche klaren Augen also sah eines dem andern, bis sie einander darin verloren. Plötzlich zuckte das Mädchen ein wenig mit den Augenlidern. »Fritz, jetzt kriegst du ja«, sagte sie, »deine Jacke wieder.« – »Hoffentlich«, sagte der Junge. »Wenn man sie nur nicht sehr zugerichtet hat«, sagte das Mädchen. »Weißt du, der Alwin, der ihn zuletzt gepackt hat, das ist ein Roher.«
     
    Gestern abend hatte man in den Dörfern von nichts anderem gesprochen als von dem Flüchtling, den man in Alwins Hof gestellt hatte … Als man das Lager Westhofen vor mehr als drei Jahren eröffnete, als man Baracken und Mauern baute, Stacheldrähte zog und Posten aufstellte, als dann die erste Kolonne von Häftlingen unter Gelächter und Fußtritten durchgezogen kam, woran sich damals schon Alwins beteiligten und Alwin ähnliche Burschen, als man nachts Schreie hörte und ein Gejohle und zwei-, dreimal Schüsse, da war es allen beklommen zumute. Man hatte sich bekreuzigt vor solcher Nachbarschaft. Mancher, den

Weitere Kostenlose Bücher