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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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gestritten haben, Mann und Frau, Blumen oder Streifen, blau oder grün für vornheraus. In diesem Fall hab ich ihnen gelb geraten. »Ich hab euch eure Tapeten gemacht, Leute, und ich werd sie euch weitermachen. Ich bin Tapezierer.« Sie konnten doch nur etwas wegen dieses Jungen von ihm wollen. Er war nie einer von solchen Vätern gewesen, die sich mit den Pfarrern zusammen auf Glaubenskämpfe eingelassen hatten, er hatte, und auch nur bis Ostern noch, sein jüngstes Kind in der Schule. Die stupsnasige Lisbeth erschien ihm nun mal nicht als die richtige Streiterin für die Kirche. Das hatte er auch dem Pfarrer erklärt, der sacht bei ihm antippte. Das Mädchen sollte ruhig alles tun, was die Schule von ihm verlangte, sie sollte dahin gehen, wo alle Mädchen hingehen. Sie sollte nicht auf halbverbotene Sachen laufen, sondern einfach mit allen andern. Mit Ausnahme höchstens der hohen Festtage. Er traute seiner Frau und sich selbst zu – trotz all den Faxen, die den Mädels jetzt beigebracht wurden –, daß sie sein Kind Lisbeth zu einem ordentlichen Menschen erziehen konnten. Er traute sich sogar zu, daß er das Kind seiner Tochter Elli, dieses Kind ohne Vater, zu einem ordentlichen Menschen erziehen konnte.
     
    »Sie haben den Sohn Alfons Ihrer zweiten Tochter Elisabeth, in Ihrer Familie Elli genannt, von Dezember 33 bis März 34 ganz und von März 34 bis heute über Tag in Ihrer Wohnung verpflegt?«
     
    »Jawohl, Herr Kommissar«, sagte Mettenheimer. Er dachte: Was will er denn von diesem Kind? Er kann mich doch nicht deshalb vorgeladen haben. Woher weiß er all das überhaupt?
     
    Der junge Mensch in dem Armsessel unter dem Hitlerbild konnte nicht einmal dreißig sein. Als sei das Zimmer geteilt in zwei Zonen und der Breitengrad laufe über den Schreibtisch, war Mettenheimer in Schweiß gebadet, sein Atem ging kurz – der junge Mensch gegenüber sah frisch aus, und kühl war gewiß die Luft, die er atmete.
    »Sie haben fünf Enkel. Warum pflegen Sie gerade dieses Kind?« – »Meine Tochter ist über Tag im Büro.« Was will er denn bloß von mir, dachte Mettenheimer, ich werde mich doch nicht von so einem jungen Burschen ins Bockshorn jagen lassen. Ein Zimmer wie jedes andere. Ein junger Mensch wie andere junge Menschen … Er trocknete sein Gesicht ab. Der junge Kommissar sah ihm aufmerksam zu mit seinen jungen grauen Augen. Der Tapezierer behielt sein zusammengeknetetes Taschentuch in der Hand.
     
    »Es gibt ja Kinderheime. Ihre Tochter verdient. Sie verdient einhundertfünfundzwanzig Mark seit dem 1. April dieses Jahres. Da kann sie doch für das Kind aufkommen.«
     
    Mettenheimer wechselte sein Taschentuch in die andere Hand.
     
    »Warum unterstützen Sie denn gerade diese Tochter, die ganz gut für ihren Unterhalt aufkommen kann?«
     
    »Sie ist allein«, sagte Mettenheimer. »Ihr Mann –«
    Der junge Mensch sah ihn kurz an. Dann sagte er: »Setzen Sie sich, Herr Mettenheimer.«
     
    Mettenheimer setzte sich. Er hatte plötzlich das Gefühl, er wäre auch sonst im nächsten Augenblick umgefallen. Sein Taschentuch steckte er in die Rocktasche.
     
    »Der Mann Ihrer Tochter Elli wurde Januar 34 in Westhofen eingeliefert.«
     
    »Herr Kommissar«, rief Mettenheimer. Er sprang halb auf. Er fiel in den Stuhl zurück. Er erklärte ruhig: »Ich habe von diesem Mann nie etwas wissen wollen. Ich hab ihm mein Haus für immer verboten. Zuletzt hat meine Tochter nicht mehr bei ihm gewohnt.«
     
    »Im Frühjahr 32 hat Ihre Tochter bei Ihnen gewohnt. Im Juni/Juli desselben Jahres hat Ihre Tochter wieder bei ihrem Mann gewohnt. Dann ist sie wieder zu Ihnen gezogen. Ihre Tochter ist nicht geschieden.«
     
    »Nein.«
     
    »Warum nicht?«
     
    »Herr Kommissar«, sagte Mettenheimer. Er suchte sein Taschentuch in den Hosentaschen. »Sie hat sich zwar gegen unseren Willen mit diesem Mann verheiratet –«
     
    »Sie haben ihr aber trotzdem als Vater die Scheidung nicht angeraten.« Das Zimmer war doch kein gewöhnliches Zimmer. Gerade das war an diesem Zimmer das Furchtbare, daß es still und hell war, mit einem Gesprenkel von zarten Schatten des Blattwerks eines Baums, ein ganz gewöhnliches Zimmer auf einen Garten. Gerade das war das Furchtbare, daß dieser junge Mensch der gewöhnlichste Mensch war, mit grauen Augen und hellem Scheitel und doch allwissend und allmächtig. »Sie sind katholisch?« – »Ja.« – »Und waren deshalb gegen die Scheidung?«
     
    »Nein, aber die Ehe –«
     
    »Ist Ihnen heilig?

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