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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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ein Bauer droben bei Wertheim am Main. Auch er war früh aufgestanden, auch er hatte Blut geschwitzt, wenn auch umsonst, weil sein winziger Hofdamais versteigert wurde. Helwig kannte sogar den Zillich, denn er kam manchmal aus Westhofen, wenn er Urlaub hatte, setzte sich in die Wirtschaft und sprach über Dorfsachen – bei der Beschreibung der Jagd senkte Helwig die Augen. »Deine Jacke«, sagte Alwin zum Schluß, »was weiß ich? Nein, das muß ein andrer Flüchtling gewesen sein, den mußt du dir selber fangen, Fritz. Mein Kerl jedenfalls hat keine angehabt.« Helwig zuckte die Achseln; eher erleichtert als enttäuscht, stapfte er gegen die Schule los, deren Fassade, ockerfarbig gestrichen, über die Felder weg leuchtete.
     
     
     

3
     
    Auf diesen Dienstagmorgen erhielt der zweiundsechzigjährige Tapeziermeister Alfons Mettenheimer, seit dreißig Jahren in fester Anstellung bei der Innendekorationsfirma Heilbach in Frankfurt, eine Vorladung vor die Gestapo. Wenn ein Mensch von etwas Ungewohntem, Unfaßbarem betroffen wird, sucht er sich an dem Unfaßbaren den Punkt, der sein gewöhnliches Leben gerade noch berührt. Daher war Mettenheimers erster Gedanke, seiner Firma abzusagen. Er ließ sich alfe den Geschäftsführer Siemsen ans Telefon rufen und sagte ihm, daß er heute freihaben müßte. Diese Absage seines ersten Tapezierers kam Siemsen verquer, denn das Gerhardtsche Haus in der Miquelstraße sollte bis Wochenende einzugsfertig sein – der neue Mieter, Brandt, hatte alles ausräuchern lassen, was ihn an Juden erinnerte, ein Wunsch, dem die Firma Heilbach gern entgegenkam. Jetzt rief Siemsen durchs Telefon: »Was ist denn passiert?« – »Ich kann Ihnen das jetzt nicht erzählen«, sagte Mettenheimer. »Kommen Sie wenigstens nach Tisch?« – »Weiß ich nicht.« Er ging hinaus durch die vollen Straßen, zwischen den Menschen herum, die alle auf ihre Arbeitsplätze gingen. Er kam sich abgesondert vor von all diesen Menschen, unter denen er sonst der gewöhnlichsten einer gewesen war, ja, die er alle hätte vertreten können als ein im gewöhnlichen Leben alt gewordener Mann, der die alltäglichsten Freuden und Sorgen durchlebt hat.
     
    Jeder Mensch, vor dem die Möglichkeit eines Unglücks aufgetaucht, besinnt sich sofort auf den eisernen Bestand, den er bei sich trägt. Dieser eiserne Bestand kann für den einen seine Idee sein, für den anderen sein Glaube, ein dritter gedenkt allein seiner Familie. Manche haben überhaupt nichts. Sie haben keinen eisernen Bestand, sie sind leer. Das ganze äußere Leben mit all seinen Schrecken kann in sie einströmen und sie füllen bis zum Platzen.
     
    Nachdem er sich rasch vergewissert hatte, daß »Gott« noch da war, an den er sonst, die Kirchgänge seiner Frau überlassend, nur selten zu denken pflegte, setzte sich Mettenheimer auf die Bank an der Haltestelle, an der er die letzten Tage eingestiegen war, um nach dem Westen der Stadt auf Arbeit zu fahren.
     
    Seine linke Hand fing zu zittern an. Es war aber nur ein Nachzittern nach außen hin. Seine erste Bestürzung war schon vorbei. Er dachte jetzt nicht an seine Frau und an seine Kinder, er dachte jetzt ausschließlich an sich selbst. An sich selbst, der sich eingesperrt fühlte in einen gebrechlichen Körper, den man wer weiß warum quälen konnte. Er wartete ab, bis seine Hand zu zittern aufhörte. Dann stand er auf, um zu Fuß weiterzugehen. Er hatte ja viel Zeit. Auf neuneinhalb lautete die Vorladung. Doch wollte er lieber an Ort und Stelle sein, um dort zu warten. Auch darin zeigte sich, daß er in seiner Art tapfer war.
     
    Er ging also die Zeil hinunter bis zur Hauptwache. Jetzt dachte er ruhig nach. Der Grund der Vorladung konnte ja schließlich nur mit jenem früheren Mann Georg seiner mittleren Tochter Elli zusammenhängen, doch dieser Mensch saß ja fest, seit Jahren schon. Da konnte nichts Neues dazugekommen sein, seitdem er selbst, der gewesene Schwiegervater, Ende 33 in dieser Sache vernommen worden war. Und damals war klar herausgekommen, daß er sich selbst gegen diese Ehe gestemmt hatte, daß er mit denen, die ihn verhörten, über den Georg Heisler durchaus einer Meinung war. Sie hatten ihm damals angeraten, der Elli zur Scheidung zuzureden. Das hatte er allerdings nicht getan. Das hatte damit auch nichts zu tun, dachte Mettenheimer, das war wieder etwas anderes.
     
    Er setzte sich auf die nächste Bank. Dieses Haus da, Nummer acht, habe ich auch mal austapeziert. Wie sie sich

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